One Night Wonder
Ich sitze kaum, als er schon voll rangeht. Er nimmt meine Hand und guckt seelenvoll zu mir herüber.
»Du bist echt süß.«
Ich lächle leicht ironisch, und verweise ihn so hoffentlich etwas in seine Schranken. Doch nein, seine Hand wandert meinen Arm hoch und will mir doch tatsächlich als Nächstes über den Busen gleiten. Ich sehe ihn warnend an. Er ignoriert es oder bekommt es gar nicht mit, wer weiß, was er so alles genommen hat. Die andere Hand legt er mit einem Mal auf seinen Schritt und sieht mich herausfordernd an.
»Na, willst du mal an diesen geilen Saftspender?«
Die Worte ebben in meinem Kopf ab, erst dann begreife ich, was er da eben gesagt hat. Ich verhindere einen Lachanfall, indem ich mir schmerzvoll auf die Zunge beiße.
»Nur zu, keine Scheu«, fügt er noch hinzu, und jetzt kann ich echt nicht mehr. Ich muss so doll lachen, dass mir die Tränen kommen. Ist hier irgendwo eine versteckte Kamera? Ich kann nicht mehr! Meint der das etwa ernst? Ich schüttle den Kopf, stehe auf und lasse ihn mit seinem Saftspender auf dem Polstermöbel zurück. Er faucht irgendwas von »dumme Schlampe« hinter mir her, aber ich bin viel zu beschäftigt, darauf zu achten, dass meine Wimperntusche nicht verläuft. Dann doch lieber das verliebte Paar auf der Couch.
*
In einem hat der Spinner allerdings recht, wie sich wenig später herausstellt: Tobias’ Band gewinnt haushoch, und Jule platzt bald vor Stolz. Ich erzähle den beiden auf der Heimfahrt von dem saftspendenden Rolling-Stones-Ableger, und Jule kriegt vor Lachen einen Schluckauf. Auf meinem Handydisplay blinkt eine neue Nachricht von Lukas. Ich mache die Augen zu und drücke auf Löschen. Er ist so weit weg, vierhundert Kilometer entfernt in seiner Heimatstadt. Und ich bin hier, und wenn es darauf ankäme, wäre er garantiert nie da. Trotzdem macht es mich ziemlich traurig. Vorn im Auto lachen Jule und Tobias noch über den Saft-Freak, ich sitze hinten auf der dunklen Rückbank, und aus meinem linken Auge läuft eine Träne, ohne dass ich es verhindern kann.
*
Am nächsten Nachmittag widme ich mich dem Thema Weihnachtsgeschenke. Ohne groß überlegen zu müssen, kaufe ich Mama Duschgel und Bodylotion ihrer Lieblingsmarke. Das leistet sie sich nämlich selbst nicht. Mit Papa ist es da schon etwas schwieriger. Nach Rücksprache mit Mama erstehe ich eine Art Bohrmaschine in einem Baumarkt, auf die Papa wohl schon seit einem halben Jahr scharf ist. Ich kann den Karton kaum vom Band hieven, die zwei Maler in der Schlange hinter mir machen sich unverhohlen über mich lustig. Wie soll ich dieses Zentnergewicht bloß in zartes Geschenkpapier verpackt bekommen?
*
Wieder zu Hause erwartet mich eine typische David-Mail.
»Weihnachtsmarkt?« steht da. Mehr nicht. Doch es trifft genau meinen Nerv. Ich liebe Weihnachtsmärkte! Alles durcheinander essen und dann warten, dass einem schlecht wird.
»Juhu!«, schreibe ich ihm zurück und bin gespannt, was nun kommt. Eine Stunde später piepst mein Handy.
»Wann?«
»Um sechs vor unserer Lieblingsbuchhandlung?«
»Okay!«, schreibt er zurück und ein Smiley dazu. Das Radio sagt, dass wir minus vier Grad haben. Also sollte es später noch eisiger werden. Ich ziehe zwei Strumpfhosen übereinander. An der Haustür fegt mir ein stechend kalter Wind ins Gesicht, igitt. Zum Glück ist mein Steppmantel tierisch warm, und die Fell-gefütterten Boots tun das Übrige. Ich schlittere mit meinem Auto gen Innenstadt und wünsche mir stattdessen einen richtig coolen Hundeschlitten mit acht Huskys davor. Glatte Straßen sind echt die Härte. Nachdem ich geparkt habe, kann ich erst mal das Adrenalin aus meinen Stiefeln schütten. David ist schon da. Er trägt einen dicken olivgrünen Parka mit Teddyfell-gefütterter Kapuze. Wie niedlich. Seine Blondhaare fliegen wild durcheinander und verdecken ihm Brille und Augen. Trotzdem hat er mich sofort gesehen.
»Du siehst aus wie Mickey Maus«, sagt er zur Begrüßung.
»Wieso?«
Er grinst und versucht, seine Haare zu bändigen. »Na ja, dünne Beine, dicke Boots, puschiger Steppmantel. Lustig.«
»Blödmann«, sage ich, und er reicht mir den Arm. Ich hake mich bei ihm unter.
»Wieso? Ich muss doch mit dir rumlaufen!«
Ich verdrehe die Augen und zerre ihn auf die ersten Stände zu. Buntes Schaumzeug, garniert mit Schokolade, Liebesperlen oder Kokosraspeln, kandierte Früchte, gebrannte Mandeln, Popcorn und Cremewaffeln.
»Wow«, hauche ich ehrfürchtig. Irgendwann hänge ich mal
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