One Night Wonder
überrascht zu mir, ich grüße schüchtern zurück, und Debo haucht ein »Nicht schlecht«.
»Du kennst ihn?«
»Ja, von der Uni«, sage ich schnell. Ob ich mal zu ihm hinübergehen soll? Doch er kommt mir zuvor und spaziert zu uns herüber. Sina zieht den nicht vorhandenen Bauch ein und hält die Luft an.
»Guten Abend, die Damen«, sagt Jakob und nickt charmant in die Runde. »Lilly, wie geht es Ihnen? Ist ja eine Überraschung, dass wir uns mal außerhalb der Universität treffen.« Meine beiden Freundinnen hängen an seinen Lippen.
»Gut geht’s mir, danke. Mädels, das ist Dr. Lechmann.«
»Jakob, bitte«, sagt er schon wieder so unverschämt charmant.
»Das sind Sina und Deborah.« Die beiden lächeln und nicken.
»Freut mich.« Er schaut mich fragend an. »Und, schon mal wieder im Theater gewesen?«
»Ja, in der Premiere von Der Sturm. «
»Ach, da wollte ich auch rein, habe aber leider keine Karte mehr bekommen.«
»Ich habe noch eine an der Abendkasse erstanden. Das ist zwar immer ein Abenteuer, weil man nie weiß, ob man Glück hat, aber oftmals ist es das wert.«
»Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Meistens klappt es.«
»Interessant. Würden Sie mich mal mitnehmen?« Debo und Sina wissen jetzt gar nicht mehr, was los ist, und ich habe keine Ahnung, was ich antworten soll.
»Ich könnte natürlich auch auf normalem Wege Karten organisieren«, lacht er.
»Ja, gerne!«, sage ich schließlich. Warum eigentlich nicht? Er ist ein toller Typ, und ich mag ihn gut leiden. Da kann ich doch mal mit ihm ausgehen? Charmante Gesellschaft kann man nicht genug haben.
»Schön, dann gucke ich morgen mal ins Programm!«, sagt er. »Ihre E-Mail-Adresse steht ja in der Kursliste.«
»Klasse!«
»Gut, dann wünsche ich Ihnen allen schöne Feiertage. Amüsieren Sie sich gut!«
»Danke!«, sagen wir brav im Chor, und er geht wieder.
»Das ist ein Dozent von dir, oder?«, will Sina wissen.
»Ja.«
»Warum sind meine Dozenten alle hässlich?«
»Du studierst eben das Falsche!«, kichert Debo.
Ich beobachte den charmanten Dr. Lechmann noch ein bisschen, während Sina schon wieder Holger simst und Debo ihrem Georg. Dann will Debo plötzlich gehen, weil sie dringend zu Georg muss, dem es wohl »sehr schlecht geht«, wie sie ganz betreten sagt. Sina scheint auch keine große Lust mehr auf einen dritten Cocktail zu haben. Mittlerweile ist Jakob mit seinen Freunden weitergezogen, und ich glaube, ich werde müde. Also machen wir uns alle auf den Heimweg. In zwei Tagen ist Weihnachten. Juhu!
12. Kapitel
O, du Fröhliche!
Weihnachten ist ein guter Zeitpunkt, um sich zu betrinken. Es ist nicht so, dass ich es beabsichtige, aber zur fortgeschrittenen Stunde hilft echt nur noch nachschütten! Wenn der Vorrat an Liebenswürdigkeiten und Toleranz aufgebraucht ist – und das ist meist schon nach dem Essen der Fall –, überlegt man sich weniger, was man trinkt, sondern eher, was gleich und was als Nächstes. Irgendwann schlafe ich dann schlagartig ein. Meistens auf der Couch, aber auch schon mal auf dem Teppich, an einen Sessel gelehnt. Und natürlich schnarche ich. Meine Eltern schweigen über diese Zwischenfälle. Wie von Geisterhand geführt, wache ich am ersten Weihnachtstag in meinem Bett auf, meistens im Schlafanzug, einmal auch komplett in Klamotten.
Was übrigens ein gutes Stichwort ist: Ich habe nämlich ein Problem – ich habe nichts anzuziehen! Das ist nicht wörtlich gemeint, das ist es bei Frauen nie, aber trotzdem ist es sehr real. Die penible Ordnung in meinem riesigen Kleiderschrank scheint mich hämisch anzugrinsen. Leute, die einen Blick hineinwerfen, sind immer sehr beeindruckt. Ich würde von mir trotzdem nicht sagen, dass ich ordentlich bin. Überhaupt ist es doch meist so: Leute, die behaupten, sie seien nicht ordentlich, sind es meistens doch. Und Leute, die behaupten, sie seien es, sind es oftmals gar nicht.
Egal, ich habe Dringenderes zu überlegen. Das schwarz-blaue Kleid habe ich nun schon drei Jahre hintereinander angezogen. Weil meine Mutter es hübsch findet, obwohl es ein wenig gruftig ist. Aber wenn ich das noch mal trage, können meine Eltern möglicherweise die Fotos der einzelnen Jahre nicht mehr auseinanderhalten. Es muss also eine andere Lösung her. Leider habe ich keine Kleidchen für den »guten Anlass«, geschweige denn einen schicken Hosenanzug oder ähnliche Ensembles. Ich sehe darin nicht mondän aus, sondern eher, als ginge ich zu meiner eigenen Konfirmation.
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