One Night Wonder
Lametta glitzert. Nur ich bin wieder Nerd-mäßig undekoriert. Doch dieses Jahr hat Debo vorgesorgt.
»Guck, hier, für dich!«, sagt sie und drückt mir einen Reifen in die Hand, während wir uns noch Begrüßungsküsschen geben.
»Och nö, Debo«, maule ich, als ich sehe, dass es sich um einen Haarreifen handelt, an den ein abstehender Heiligenschein montiert ist. »Das sieht echt zu bescheuert aus.«
»Sollen wir tauschen?«, fragt sie und hält mir ersatzweise ihr Geweih hin. Ich seufze kapitulierend.
»Ja, gut.«
Sina, die daneben steht, grinst bis zu den Ohren.
»Sie lacht mich schon aus!«, sage ich anklagend zu Debo und zeige auf Sina, die prompt so tut, als wäre nichts gewesen.
»Das bildest du dir doch nur ein«, sagt Debo abschließend. Ich schleiche an Gundis vorbei, die auch irgendwie so guckt, als würde sie mich auslachen.
»Hopp, hopp, Lilly«, sagt sie und macht eine Bewegung, die mich wohl die Treppe hochscheuchen soll. Ich brumme etwas vor mich hin, und oben angekommen höre ich die drei von unten kichern. Diese Luder, das haben sie bestimmt geplant. Jetzt laufe ich den ganzen Tag als Rentier herum. Ich hoffe nur, es kommt niemand vorbei, den ich kenne.
Ich deponiere Tasche und Mantel und setze den unsäglichen Kopfschmuck auf. Oh nee, der wackelt sogar beim Gehen. Kaum bin ich wieder unten, wird es im Laden plötzlich voll. Gundis schickt uns auf unsere Posten, und los geht es mit der Arbeit.
Meine erste Kundin braucht unbedingt noch »etwas zum Drüberziehen«, wie sie sich ausdrückt. Farbe egal, Hauptsache warm. Sie sieht sich hektisch um, reißt wahllos an den Sachen und wirkt wie ein aufgeschrecktes Huhn kurz vor der Schlachtung. Ich zeige ihr mehrere Strickjacken, die ihr aber alle zu bunt sind. Eine schwarze Jacke aus reiner Wolle ist ihr zu trist, das gleiche Modell in zartem Pastellblau zu blass. Eine grüne Variante gefällt ihr, allerdings verträgt sie keine Wolle auf der Haut, will aber auch nichts darunterziehen müssen. Ich empfehle ihr ein Modell aus Kaschmir und Seide, wahlweise in Steingrau, dunklem Rot, Schwarz oder Dunkelblau. Das verträgt sie auch nicht, erklärt sie und wirkt schon leicht genervt. Also zeige ich ihr ein paar Modelle aus dickem Teddystoff. Sie zieht ein vorwurfsvolles Gesicht und erklärt, dass sie Kunstfaser gar nicht mag. Ich versuche, ruhig zu bleiben, und zeige ihr zum guten Schluss die Varianten aus reiner Viskose, worauf sie mich anblafft, was ich ihr da verkaufen wolle, sie hätte doch nach etwas Warmem gesucht.
Schließlich verlässt sie unzufrieden den Laden und beschwert sich bei Gundis an der Kasse, dass ich keine Ahnung hätte und mich mit dem Sortiment wohl nicht auskennen würde. Zum Glück weiß Gundis, dass ich unser Sortiment wie meinen eigenen Kleiderschrank kenne, und deshalb lässt sie sie reden und nickt nur höflich. Ich will mich nicht ärgern und falte deshalb schnell alle Sachen weg, die ich der Schnepfe gezeigt habe.
*
Als es endlich sechs Uhr ist, komplimentieren wir die letzten Kunden aus dem Laden und machen uns auf zum Mexikaner. Gundis kommt natürlich nicht mit, genauso wenig wie Sylvia, die mit ihrem Mann ins Theater will. Debo, Sina und ich spazieren über den Weihnachtsmarkt bis zu unserem Ziel. Von drinnen ertönt bereits laut Musik. Wir setzen uns und essen jeder eine Kleinigkeit, dann ziehen wir weiter zur Bar. Ich bestelle einen Caipi, weil das mein Lieblingscocktail ist.
»Was ist mit Holger?«, frage ich Sina, weil sie gar nicht ihr Handy am Ohr hat.
»Wir haben uns geeinigt«, sagt sie und guckt triumphierend.
»Echt?«
»Ja, er hat mir versprochen, weniger eifersüchtig zu sein und mir nicht ständig hinterherzutelen.«
»Cool, dass er so auf dich eingeht«, sagt Debo.
»Das war ja wohl auch nötig«, sagt Sina. »Zumal er keinen Grund zur Eifersucht hat. Ich gucke ja weder links noch rechts.« Ihr Blick bleibt irgendwo an der Theke hängen und straft ihre Worte Lügen. »Uh, klasse Typ auf elf Uhr.«
Debo und ich recken die Köpfe. Debo muss sich auf die Zehenspitzen stellen, weil sie so klein ist. Mich trifft der Schlag: Das ist Jakob mit ein paar Freunden. Und er sieht richtig klasse aus. Gut geschnittene Jeans, teures Oberhemd, Brille. Ich glaube, er hat sogar seine Haare gegelt. Er scheint unsere Blicke gespürt zu haben, denn plötzlich sieht er zu uns rüber. Sina setzt ihr charmantestes Lächeln auf. Ich bin immer noch versteinert. Dann hebt er die Hand und grüßt mich. Sina guckt
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