One Night Wonder
für unsere reizende Verwandtschaft verfügen. Oder haben sie sich gnädigerweise im Hotel einquartiert? Obwohl, das kostet ja Geld, von daher ist es eher unwahrscheinlich.
»Wie sollen die denn zu dritt im Gästezimmer schlafen?«, frage ich und zerre meine Taschen hinter mir her. Der Teppich zu meinen Füßen wirft Falten, die ich erfolgreich ignoriere. Mal sehen, ob Mama noch saurer gucken kann.
»Simone schläft in deinem Zimmer«, erwidert sie trocken, ohne sich umzudrehen.
»Was?« Ich bin empört. Wo soll ich dann schlafen?
»Du in deinem Bett, Simone auf der Couch.«
Na, ganz super. Ich und ein quengeliger Teenager, der wahrscheinlich die ganze Nacht telefonieren oder simsen muss. Ich beschließe, aus Protest nicht zu antworten.
»Such doch schon mal die Bettwäsche raus«, fügt Mama hinzu.
»Darf ich vielleicht vorher noch meinen Mantel ausziehen?«
Sie dreht sich überrascht zu mir um. »Weihnachten muss jeder mithelfen.«
Das beantwortet meine Frage nicht. Sie hat echt schlechte Laune. Ich versuche einen beleidigten Blick, doch sie pustet sich nur ihren Pony aus der Stirn und verschwindet wieder in die Küche. Ich, immer noch im Mantel, bleibe zurück.
»Wann kommen die denn an?«, brülle ich durch das »Jingle-Bells« -Gedudel.
»So in ’ner Stunde!«
Hmpf. So früh schon. Ich reiße an den Henkeln meiner Reisetaschen und schleife noch mehr kleine Läufer hinter mir her. Mir doch egal. Dann schubse ich die Tür zu meinem Kinderzimmer auf, das eigentlich kaum noch nach mir aussieht. In einer meiner wilden Phasen habe ich alle Wände dunkellila gestrichen und schwarze Samtvorhänge vor das große Fenster gehängt. Als ich ausgezogen bin, hat Mama von Papa alles renovieren lassen. Jetzt sind die Wände in einem dezenten Pastellgelb, und Streublümchen zieren die weißen Gardinen. Nur der alte Schreibtisch ist noch wirklich von mir. An ihm habe ich schon meine ersten Buchstaben geübt. Die Schlafcouch auf der gegenüberliegenden Seite haben meine Eltern mal von irgendjemandem geschenkt bekommen. Hübsch ist anders. Das Bett, in dem ich nächtigen werde, ist aus hellem Holz und stammt aus einem der großen Möbelhäuser. Es riecht nach Kleber und knarrt. Zum Glück schlafe ich nicht oft hier. Mama meint, ich müsse doch froh sein, dass ich in meinem Elternhaus noch ein eigenes Zimmer habe. Ich sage ihr nicht, dass ich ohne dieses Zimmer ein Argument hätte, nicht für fünf Tage herzukommen. Und dass es sowieso nicht mein Zimmer ist, weil 9 5 Prozent des Interieurs nicht von mir sind. Aber das denke ich natürlich nur. Dann ziehe ich endlich meinen Mantel aus.
Der Kleiderschrank, in den ich meine Klamotten hängen will, ist zum Platzen voll mit Plunder. Bettwäsche, Schuhe, ausrangierte Bügeleisen und die Sommertischdecken für den Gartentisch. Gut, lege ich meine Sachen eben auf den Boden! Meine gute Kosmetik deponiere ich aber doch lieber auf dem Schreibtisch.
»Lilly! Warst du das mit den Teppichen?«, schallt es aus dem Flur.
Natürlich war ich das, oder ist hier sonst noch jemand drübergelaufen? Ich überhöre meine Mutter und packe stattdessen hingebungsvoll meine Badutensilien aus. Dabei summe ich »O, du Fröhliche …«.
»Lilly! Räum das sofort auf!« Dann knallt die Tür zum Flur zu. Ich liebe Weihnachten.
Als ich ein paar Minuten später mein Zimmer verlasse, liegen die Teppiche wieder ordentlich sortiert auf dem Holzboden. Aha, Papa ist auch da. Der Geräuschkulisse nach zu urteilen, sind beide in der Küche. Papa kann zwar nicht kochen, aber er hilft trotzdem mit. Außerdem ist er für die Getränke zuständig, die im Keller lagern.
»Na?«, sagt er, als ich das Reich der hausgemachten Spezialitäten betrete.
»Na?«, gebe ich zurück, und dann grinsen wir. Mama zieht ein Gesicht und klatscht Papa das tropfende Salatsieb vor die Brust.
»Würdest du das bitte abtrocknen?«
Kochen interessiert mich nicht so brennend. Stundenlang Gemüse klein zu schneiden langweilt mich. Außerdem macht man eine Menge Geschirr schmutzig, das man danach alles wieder abwaschen muss. Bevor man mich zur Mithilfe abkommandieren kann, klingelt es an der Tür.
»Nein, oder!? Das darf ja wohl nicht wahr sein!« Mamas erster empörter Blick gilt der Uhr am Backofen, der zweite Papa, als wenn er etwas für seine blöde Verwandtschaft könnte.
»Ich mach dann mal auf«, sage ich.
Vor der Tür stehen erwartungsgemäß Tante Angelika, Onkel Jochen und Simone. Onkel Jochen sieht aus wie der
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