One Night Wonder
ob ich es wirklich trage oder doch lieber nur einrahme und angucke. Oma bezahlt unbeeindruckt und fragt mich danach, ob wir noch Kaffee trinken gehen wollen. Als absoluter Kuchenfan stimme ich begeistert zu. Ich verputze ein Stück Käse-Mandarinen-Kuchen und eine Donauwelle, Oma nimmt Schwarzwälder Kirsch. Vom Café aus lässt sie sich eine Stunde später ein Taxi rufen, und am frühen Nachmittag sind wir wieder zu Hause. Opa hat mittlerweile diverse Routen auf seinen Landkarten eingezeichnet und dazu eine überdimensionale Lupe zu Hilfe genommen. In der Küche hat er sich Wurstbrote gemacht, alles ist krümelig, und die Wurst hat er nicht wieder in den Kühlschrank geräumt. Wenigstens hat er sich nicht gelangweilt.
Oma reicht mir die elegante Papiertasche. »Aber erst zu Weihnachten auspacken«, sagt sie mit gespielter Strenge. Ich lache und umarme sie mal wieder.
»Danke, es ist toll. Ich werde es in Ehren halten.«
»Unsinn, es soll dich warm halten. Fang bloß nicht an, die Sachen zu schonen.«
»Na gut.«
»Und bedank dich noch bei deinem Opa.«
»Okay.«
Ich schaue im Esszimmer vorbei, wo Opa mit der Nase knapp über einer Karte hängt.
»Danke für das Weihnachtsgeschenk, Opa!«, sage ich.
Er richtet sich auf und guckt ein bisschen verdutzt. »Geschenk?«
»Oma und ich haben ein Geschenk für mich ausgesucht.«
»Ach so!« Er schiebt sich seine Brille zurecht. »Ja, gern geschehen, Lilly-Schatz, weißt du doch.« Dann greift er wieder nach seiner Lupe, und ich spaziere weiter in mein Gästezimmer. Dort packe ich schon mal meine Sachen wieder ein, denn spätestens in einer Stunde will ich wieder fahren. Dann mache ich das Bett und drehe die Heizung aus.
Oma sitzt im Wohnzimmer auf einer der Couchen und liest eine Modezeitschrift. Ich setze mich ihr gegenüber auf eine andere Couch. Sie lässt das Magazin sinken und schaut mich eine Weile prüfend an.
»Lilly, hast du eigentlich einen Freund?«, fragt sie dann.
»Nein.«
»Du wirkst so, als beschäftigt dich etwas, und da dachte ich, dein Freund und du, ihr hättet euch gestritten.«
»Ich habe aber keinen festen Freund.«
»Gibt es einen Unterschied zwischen Freund und festem Freund?«
»Hm, nein.«
»Was ist es dann, was dir auf dem Herzen liegt?«
Wie soll ich ihr das erklären? Sie weiß nichts von meiner One-Night-Stand-Einstellung, und ich werde sie auch nicht einweihen. Aber eigentlich ist es ja auch nicht das, was mich beschäftigt.
»Ich weiß im Moment nicht so ganz, was ich tun soll«, sage ich deshalb vage.
»Fragst du dich, ob die Entscheidungen, die du triffst, richtig oder falsch sind?«
»Ja, genau.«
»Hm.«
»Und dann denke ich darüber nach und mache damit alles noch viel schlimmer.«
»Du vertraust also deinem Bauchgefühl nicht?«
»Ich vertraue gar keinen Gefühlen.«
»Warum nicht?«
»Sie sind doch bloß das Resultat irgendwelcher körpereigenen Hormone.«
Oma schaut mich an, dann lacht sie leise.
»Gefühle, mein liebes Kind, sind der rote Faden, der sich durch unser Leben zieht.«
»So etwas glaube ich nicht.«
»Du musst es nicht glauben, du musst es nur zulassen. Glaub mir, Lilly, jede gefühlsgeleitete Entscheidung ist entschuldbarer – vor sich und den anderen – als eine, die nur durch den Verstand getroffen wurde. Gefühle dürfen Fehler machen, sie gehen einher damit. Aber das macht den Menschen aus. Sonst wären wir doch alle Roboter!«
»Ich weiß nicht.«
»Wie heißt er?«, fragt Oma plötzlich.
»Wie heißt wer?«
»Derjenige, den du vom Kopf her nicht willst und der sich trotzdem in dein Herz geschlichen hat.«
So altmodisch kann auch nur Oma sprechen. Ich hoffe, meine nächsten Worte schockieren sie nicht zu sehr.
»Es sind zwei, Oma.«
»Ach so«, sagt sie und sieht nicht sehr beeindruckt aus. »Das erklärt einiges.«
»Und das wäre?«
»Na, du kannst dich nicht für einen der beiden entscheiden.«
»Das stimmt leider nicht so ganz. Eigentlich möchte ich keinen von beiden. Jedenfalls nicht so richtig. Es wäre schön, aber andererseits spricht so vieles dagegen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht will, dass es so bleibt, wie es jetzt gerade ist. Obwohl ich beide mag und sie auch echt gut finde.«
»Nun, das ist kompliziert.«
»Sag ich doch.«
»Und warum nicht?«
»Warum ich keinen der beiden will?«
»Ja.«
»Ich weiß es nicht.«
»Nun, das ist wirklich kompliziert.«
»Ja, schrecklich.«
»Und was sagt dir dein Gefühl?«
»Oma!«
»Ja, Lilly, du
Weitere Kostenlose Bücher