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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Atemzug, das leise »hhhhhhh«, umspielte ihn, der fremde Odem hüllte ihn ein. Warm, mit einer Spur Minze und Säure, die aus dem Magen stieg. Schlaff lag der Mann auf ihm und starb. Einfach und schnell. Unspektakulär.
    Thielke schüttelte den Toten mit einem frustrierten Schrei ab, dessen Echo einsam durch das Stadion rollte. Sonst gab es keine Geräusche mehr.
    Er nahm den LeMat und zog sich am Pult in die Höhe, renkte die Schulter mit einem Stoß gegen die Wand wieder ein und schrie erneut. Gellend und anhaltend, um seiner Bestürzung, seiner Wut freien Lauf zu lassen.
    Er humpelte hinaus, wissend, welcher Anblick ihn erwartete – und dass er ihn niemals vergaß. Als Thielke aus der Kabine trat, war sein Mund trocken. Er fühlte, dass sich eine Unterzuckerung anbahnte. »Bitte«, stöhnte er verzweifelt. »Irgendein Gott, bitte, ein Wunder. Bitte!« Dann sah er sich um.
    Tote.
    Tausende.
    Zehntausende.
    Man könnte meinen, der Fotograf Spencer Tunick hätte zu einem verrückten Kunsthappening geladen und die Menschen angewiesen, sich so hinzulegen, um Aufnahmen zu schießen, die es nur ein einziges Mal auf der Welt geben würde. Ein ganzes Stadion voller liegender Personen: auf den Rängen, auf den Treppen nach unten, auf dem Rasen, in Shirts, in Polizeipanzerung, mit Fahnen und Trommeln in den Händen, bunt bemalt, manche noch mit einem Imbiss oder ihrem Bierbecher in der Hand. Der Schnitter hatte sie gefällt, niedergemäht, die Ähre Mensch. Achtzigtausendfach und unabänderlich stumm.
    Dadurch, dass die Leichen auf den Tribünen lagen, entstand der Eindruck, dass sie sich berghoch auftürmten gleich einem archaischen Opfer an einen grausamen Gott. Ein paar tote Tauben trudelten vom Stadiondach und plumpsten auf die Kadaver darunter. Der sattgrüne Rasen verlor seine Farbe, welkte und verkrüppelte. Alles Leben erlosch.
    »Arctander!«, schrie Thielke mit Tränen in den Augen und trat mit dem gesunden Bein gegen die Rückenlehne eines Sitzes. Das Plastik zersplitterte, die Stückchen flogen davon und landeten auf Leichen. »Arctander, wach auf, du Scheiß Narko!« Er hob den LeMat und hielt sich schussbereit.
Zeig dich!
    Seine rauhe, kratzige Stimme rollte durch die Arena, das Echo kehrte undeutlich zu ihm zurück. Der einzige Laut, der die Ruhe störte.
    »Arctander! Wo steckst du?«
    Auf der anderen Seite des Stadions, ihm fast genau gegenüber, bewegte sich plötzlich ein Mensch in den Bergen von Toten. Die Gestalt kroch unter Mühen zwischen den noch warmen Körpern hervor. Da an diesem Ort keine anderen Überlebende als Todesschläfer existierten, gab es nur einen Mann, der das sein konnte: Arctander.
    Thielke richtete das Visier auf den Mann, zielte und drückte ab.
    BAMM !
    Der LeMat bockte, und die Kugel flog auf den Narkoleptiker zu. Arctander warf sich zur Seite und schrie dennoch im nächsten Moment auf. Er war getroffen, leider nicht tödlich. Das Echo des Schusses grollte gewittergleich.
    Thielke sah ihn vorwärtsrobben, die Toten als Deckung nutzend. »Was soll die Scheiße, Narko?«, brüllte er. »Bist du ein Psycho, dass du in ein Stadion zum Fußballschauen gehst?«
    BAMM !
    Die Leiche vor Arctander zuckte unter dem Einschlag, und erneut erklang ein Aufschrei.
    Er ist zu weit weg.
»Stell dich hin, du Arschloch, damit ich dir den Schädel wegpuste!«, rief Thielke, den LeMat am ausgestreckten Arm. »Lass es uns sauber zu Ende bringen.«
    »Ich wollte das nicht«, rief Arctander wehleidig zurück, seine Stimme war kaum zu hören. »Ich dachte, die Medikamente helfen und verhindern es. Ich habe viel ausprobiert und …«
    »Wie lange denkst du das schon?«, bellte Thielke. »Seit Marrakesch? Seit deinem Flug mit dem A 380 ?«
    BAMM !
    Die Kugel verfehlte den Kopf des Mannes nur um Millimeter, weil Arctander ausgerutscht war. Er rollte über die Toten nach unten, purzelte ungelenk wie ein kleines Kind hinab und schlug auf dem Boden auf, hinter der Leiche eines gepanzerten Polizisten.
    Thielke wartete, um zu sehen, in welche Richtung sich der Schwede bewegte, um nicht den nächsten Schuss zu vergeuden.
    »Ich kann es, ehrlich!«, rief Arctander bittend.
    »Hast du dich umgeschaut, du dummer Wichser?«, brüllte er zurück. »Du hast sie umgebracht!«
    »Nein, nicht ich. Der Tod. Der … Fluch! Ich kann doch nichts dafür.
Sie
haben mich dazu gemacht!
Sie
wollen, dass ich so werde! Hört auf, mich zu verfolgen!«
    »Du hättest deinen Arsch auf eine Insel verfrachten und dort bleiben sollen.

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