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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Hautfarbe. Sie fühlen sich an wie mit Mehl bestäubt. Und bevor Sie fragen: Je nach Hautfarbe variiert dieses Mal. Aber man lernt schnell, es zu bemerken.«
    »Was haben die Menschen davon, dass sie zu Ihnen kommen?« Er dachte an das Märchen von Gevatter Tod. »Retten Sie sie?«
    »Das maße ich mir nicht an. Der Tod weiß, was er tut. Ich schaue mir deren Geschichte, deren Leben an. Kommt der Tag, an dem der Tod an sie herantritt, erbitte ich einen Aufschub. Oder auch nicht.«
    »Dann reden Sie doch mit …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich rede, er versteht. Aber er gibt keine Antwort. Wir treten nicht in einen Dialog.«
    Es klopfte.
    Die Arzthelferin brachte die Espressi, auf einem kleinen Teller lagen Kekse, dazu gab es noch drei Mini-Törtchen. Anscheinend hatte sie Arctander und Konstantin als wichtigen Besuch eingestuft, da ihre Chefin alle Termine wegen ihnen absagte. Sie schien allerdings verwundert wegen der trübseligen Stimmung, die im Behandlungszimmer herrschte. Die Wodkaflasche nahm sie kaum zur Kenntnis. Es schien normal zu sein, dass die Chefin trank. Sie stellte das Tablett ab und verschwand wieder.
    Sastre kann nicht selbst entscheiden, wer lebt und wer stirbt! Aber sie ist verdammt nah dran.
Konstantin nahm den Espresso und trank davon, Sastre ebenso. Arctander rührte sich nicht mehr, ihm war scheinbar alles egal. Konstantin legte ihm seine Trainingsjacke um den freien Oberkörper.
    Die Ärztin sah ihn über den Tassenrand hinweg an. »Ich kann Ihre Gedanken geradezu fühlen, Señor Korff: Wie kann ich es mir anmaßen, über die Kranken zu urteilen und für die einen zu bitten und für die anderen nicht?« Sastre leerte ihren Espresso in einem Zug. »Die Antwort lautet: Weil ich es
kann.
Ich gebe mir Mühe, solche Menschen am Leben zu halten, die sinnvoll für die Gesellschaft sind, die eine Zukunft haben und die wichtig für die Zukunft anderer sind. Die einzige Auflage, die für mich gilt, ist, dass sich Überlebende und Tote am Ende eines Jahres die Waage halten müssen.«
    »Und wenn nicht?« Konstantin wollte lieber nicht fragen, ob sie selbst dafür sorgte, dass der Einklang hergestellt wurde, sprich Menschen umbrachte, um ihr Konto auszugleichen. Er nahm lieber an, dass der Tod dafür an einem anderen Ort nach Gutdünken mehr Leben auslöschte als zunächst vorgesehen. Er dachte an Naturkatastrophen, bei denen Hunderte, Tausende starben. Es gab so viele Möglichkeiten für den Tod.
Ob es Sastre zu schaffen macht, dass sie Unschuldige auf dem Gewissen hat?
    »Dann bedient sich der Tod an mir, Señor Korff. Für jeden Toten im Ungleichgewicht nimmt er mir ein Jahr. Es gibt kein Entkommen vor ihm – außer für Sie und Ihresgleichen. Doch selbst das nimmt der Schnitter nicht einfach hin, wie Sie wissen.« Sie nahm einen der Schokoladenkekse und biss davon ab.
    Konstantin war fasziniert von ihrer Erzählung. »Woher haben Sie Ihre Gabe?«
    Sie lachte bitter. »Ich weiß es nicht. Es liegt in unserer Familie. Alle meine Vorfahren waren Ärzte, und keiner von ihnen wurde älter als sechzig Jahre. Das ist der Preis, den wir zahlen: Wer sich mit dem Tod abgibt, stirbt schneller.«
    »Nicht ganz.« Konstantin dachte an das Ars Moriendi und seine Angestellten.
Bestatter sterben nicht früher als andere Menschen.
    »Es könnte auch daran liegen, dass sie alle Säufer waren. Wie ich. Und dass sie einen Hang zu Betäubungsmitteln hatten. Auch wie ich«, fügte sie hinzu. »Wie sonst soll man das aushalten?« Ihr Gesicht verhärtete sich, der Blick richtete sich auf die Wodkaflasche. Sie rang sichtbar das Bedürfnis nieder, danach zu greifen. »Wegen des Rufs meiner Familie wurden wir immer wieder von Menschen wie Ihnen beiden aufgesucht. Wir sollten für sie mit dem Schnitter sprechen und ihn dazu bringen, den Fluch zu lösen.« Sie aß den Rest des Kekses. »Wie ich schon sagte: Ich kann es nicht. Niemand kann das.«
    Konstantin setzte sich in den Stuhl vor ihrem Schreibtisch und nahm einen weiteren Schluck von dem starken Kaffee. »Das habe ich inzwischen verstanden. Können Sie mir erklären, was es mit den Gevattersteinen auf sich hat? Ich bin bei meiner Suche mehrfach über sie gestolpert.«
    »Die Steine.« Sastre nickte. »Das kann ich. Meine Familie hatte natürlich Mitleid mit den Todesschläfern. Darüber hinaus waren sie eine Gefahr für die Allgemeinheit, wie man an Señor Arctander sieht.«
    »Wenn Sie das alles wissen, wieso wollten Sie uns zuerst nicht helfen?«
    »Selbstschutz.«

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