Oneiros: Tödlicher Fluch
haben da einen Fleck auf der Wange. Sieht aus wie Wimperntusche.« Die Professorin fuhr sich über die Haut, aber Marna sah nicht zufrieden aus. »Nee, immer noch da. Ist bestimmt nichts oder liegt am Licht.«
Sastre stimmte ihr zu. »Oder es ist ein neuer Altersfleck.«
»Kein echter Krieg«, korrigierte Thielke mit Verzögerung und wurde redseliger. »Ein paar tanzten aus der Reihe. Das wird sich bereinigen lassen und lediglich Zeit und Anstrengung kosten. Einen Bruderkrieg oder zumindest eine offene Abneigung verbindet die Europäer mit den Indern, den
Phansigar.
Und in Südamerika gibt es …«
Das reicht an Interna.
Konstantin räusperte sich. »Das spielt für uns aber keine Rolle. Es geht um Darling und von Windau.« Er warf Thielke einen tadelnden Blick zu, damit er schwieg. Sastre und Marna, sogar Arctander hatten ihm fasziniert zugehört. »Professorin, können Sie noch mehr von uns für den Schnitter sichtbar machen?«, versuchte er, auf das aktuelle Problem zurückzukommen. »Und was ist mit den anderen Todsehern? Würden sie auch helfen?«
»Das ist nicht ganz einfach. Es beginnt damit, die passenden Steine zu beschaffen. Dann muss der Todesschläfer freiwillig dazu bereit sein …«
»Es sei denn, ich pflanze ihm den Stein ein«, nuschelte Thielke in sein Glas.
»Entschuldigung, Entschuldigung, aber an dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass mir einer der Herrschaften noch etwa zwanzigtausend Euro für den Roh-Opal schuldet, den Bent bei sich trägt«, sagte Marna mit gespieltem Ernst. Auch ihr hörte man an, dass der Rotwein nicht spurlos an ihr vorbeigegangen war. »Ich kenne ein Inkassounternehmen, das mit einer Rockergang kooperiert. Das nur zur Warnung.«
»Ich verkaufe das
Ars Moriendi
«, beruhigte Konstantin sie mit einem Grinsen.
»Das gehört mir eh!« Marna streckte ihm die Zunge raus und grinste zurück. Ihre Augen leuchteten.
Sastre wählte eine getrocknete Tomate und bestrich sie dünn mit Tapenade, bevor sie abbiss. Sie schien als Einzige noch nüchtern zu sein. »Außer Massimo und meinen beiden Freunden kannte ich noch zwei Todseher. Aber einer von ihnen ist gestorben, und die andere ist während eines Hilfsprojektes in Kolumbien verschleppt worden.« Sie lächelte unsicher. »Es ist schwer, diese Begabung bei anderen zu erkennen und sich dann noch zu trauen, den Verdacht anzusprechen, um daraus Gewissheit zu machen.« Sie zeigte auf ihr gealtertes, faltiges Gesicht. »Menschen, die älter aussehen als sie sind, müssen nicht zwangsweise Todseher sein.«
»Also haben wir nur Sie.« Konstantin fuhr mit einem Finger über den Rand seines Glases und leckte anschließend den roten Tropfen daran ab.
»Ja. Aber ich fühle mich derzeit nicht stark genug, um den nächsten Versuch zu wagen. Dieses letzte Treffen mit dem Tod …« Sie seufzte und griff nach ihrem Rotwein. »Ich brauche eine Pause, sonst wird er mich beim nächsten Mal töten.«
»Sollte er Ihnen nicht dankbar sein, weil Sie die verhasstesten Todschläfer für ihn sichtbar machen?«, wunderte sich Marna, die sich erstaunlich schnell in die Thematik eingefunden hatte, wie Konstantin fand. Bei ihrer langen Unterhaltung vor dem Bunker, inmitten der toten Pflanzen und Tiere, hatte sie viele der Fragen gestellt, die er sich aus dem Mund von Iva gewünscht hätte. Sie akzeptierte, was vorgegangen war, auch wenn es noch etwas dauern würde, bis sie es wirklich begriff. »Wieso straft er Sie, Professorin? Er sollte Ihnen ein paar Lebensjahre zusätzlich für Ihre Arbeit geben.«
»So läuft es nun mal nicht«, gab Sastre leise und bedrückt zurück. »Der Kontakt zu ihm raubt mir Kraft, er schädigt mich. Wie Arbeiter, die nach einem atomaren Unfall die Gefahr eindämmen müssen. Sie tun Gutes, aber sie werden verstrahlt und bezahlen für ihr Handeln mit einer geringeren Lebenserwartung.« Sie hob ihr Glas. »Undank ist nun mal der Welten Lohn, Señora Herbst. Doch wie heißt es so schön: Jemand muss es ja machen.« Sie trank hastig und schenkte sich erneut ein.
Betretenes Schweigen setzte ein, durchdrungen von Arctanders Kichern, der sich über eine Karikatur an der Wand amüsierte. Seine Aufmerksamkeit ließ inzwischen zu wünschen übrig.
Die Bedienung brachte die siebte Flasche, öffnete sie und stellte sie auf den Tisch.
»Ich denke, es ist Zeit, dass ich ins Bett komme. Ich spüre jeden Knochen im Leib.« Sastre erhob sich leicht schwankend, was weniger auf den Alkohol, als vielmehr auf ihre Entkräftung
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