Oneiros: Tödlicher Fluch
in Scheiben schneiden, und du wirst Eugen bis zu deinem Tod nicht wiedersehen. Das verspreche ich dir.«
Sie hatte zu lange gekämpft. Gegen ihren Körper, gegen die Zeit, gegen andere Menschen. Es schien auf einmal verlockend, einfach aufzugeben. Niedergeschlagenheit, vollkommene innerliche Aufgabe drangen auf sie ein. »W-w-wann sehe ich ihn dann, w-w-wenn ich mich ei-ei-einfrieren lasse?«
»In der Zukunft«, erwiderte er unbarHmerzig. »Bete, dass deine Forscher die Ziele erreichen, die ich ihnen gesteckt habe. Wenn Gott gnädig ist, erwachst du irgendwann und schließt Eugen mit seinen Kindern und Kindeskindern in die Arme.« Er entzog sich dem Licht, nur ein Ohr und die Schläfe waren noch zu sehen. Anatol wartete ab und genoss seinen Triumph.
Kristin biss sich auf die Lippe. Sie wollte schreien, wollte die Waffe auf den Computer richten und ihn in Stücke schießen, wollte Eugen festhalten und niemals mehr loslassen – doch sie stand hilflos im Keller des ausgeräumten Gebäudes, in dem sie an ihrem Traum vom ewigen Leben gearbeitet hatte.
Stolz, Trotz und Furcht erfüllten sie. Und Hoffnungslosigkeit, die mit jeder Sekunde zunahm und alles andere verdrängte, zuletzt auch das letzte Quentchen Zuversicht auf eine plötzliche Wendung zu ihren Gunsten. Sie konnte nichts mehr ausrichten. Ihr Ex-Mann hatte sie in der Hand.
»Ich m-m-mache es«, flüsterte sie. »Ich m-m-mache es für Eugen. D-d-damit ich ihn eines T-t-tages wieder umarmen darf.« Die Angst schnürte ihr die Luft ab.
»Willst du ihm noch etwas sagen? Ich zeichne es auf und zeige es ihm, wenn er älter ist.«
Sie schüttelte den Kopf. »W-w-was ich ihm zu sagen habe, w-w-werde ich ihm selbst sagen. Egal ob in hundert Jahren oder in t-t-tausend.« Kristin streifte ihre Kleider ab und warf sie auf den Boden.
»Du hast mein Wort, dass ich auf deinen erstarrten Körper aufpasse und Eugen zu einem guten, aufrechten Mann erziehe. Zu einem Vory v Zakone«, verabschiedete sich Anatol. »Er mag zwar deinen Fluch in sich tragen, Sophia, aber wir werden ihn brechen. Ich finde Mittel und Wege. Er wird ein gutes Leben haben.«
Nackt zeigte sie ihren trainierten Körper mit den zahlreichen Ankh-Tätowierungen der Kamera. »W-w-was soll ich t-t-tun?«
»In den Tank steigen und den Deckel schließen. Auf dem Boden liegen Messelektroden, die du an dir befestigst. Die kleinen auf der Brust, die beiden größeren an den Schläfen. Es werden Männer kommen und das Gerät bedienen.«
»Ich s-s-sehe niem-m-manden.«
»Sie sind da. Vertrau mir.« Anatol hob die Hand zum Gruß und verstummte.
Kristin erklomm die Leiter und schwang sich über den Rand des Tanks, ließ sich an den glatten Wänden mit den vielen kleinen Öffnungen hinabgleiten. Im schwachen Licht, das von oben durch die Öffnung drang, klebte sie die Elektroden an sich fest. Danach stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um den Deckel zu schließen.
Es klackte, als sie ihn nach unten zog und in die Verriegelung einrasten ließ.
Kristin setzte sich auf den kalten Boden aus Hartgummi, zog die Beine dicht an ihren Körper heran und legte den Kopf auf die Knie. Es war einsam in der metallischen Dunkelheit, in der es nach nichts roch.
Sie wusste nicht, ob Anatol seine Worte ernst gemeint hatte. Sie traute ihm alles zu. Er konnte sie einfrieren und wirklich mit einer Bandsäge zerschneiden lassen; an einen Plastinator geben; ihre Forschungen nicht weiterführen; sie an Schweine und seine Dobermänner verfüttern; sich um sie kümmern und sie in fünfzig Jahren auftauen lassen. Bei Anatol gab es nichts Unmögliches.
In ihrer übergroßen Angst konzentrierte sie sich auf Eugens hübsches Gesicht. Falls man im erstarrten Zustand träumte, wollte sie mit guten Bildern im Verstand vereisen. Sie stellte sich vor, wie er wohl aussah, wenn er älter wurde. Eugen würde als junger Mann viele Freundinnen haben und sie gut behandeln. Da war sie sich sicher.
Kristin lächelte.
Über ihr klickte es mehrmals. Die Profis waren aufgetaucht und bereiteten das Einfrieren vor, das mit Hilfe von flüssigem Stickstoff und ein paar anderen Tricks geschehen würde.
Aus den vielen winzigen Düsen in der Metallwand des Tanks strömte mit aggressivem Zischen eisige Luft, welche die Temperatur rasch auf Minusgrade sinken ließ.
Sie erinnerte sich seltsamerweise an einen Satz von Jean de la Bruyère.
Der Tod, welcher der Hinfälligkeit zuvorkommt, kommt zur besseren Zeit als der, welcher ihr ein Ende setzt.
In ihrem
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