Oneiros: Tödlicher Fluch
Fall wählte sie weder Tod noch Hinfälligkeit.
Sie überlistete den Schnitter, indem sie ein Stadium dazwischen einnahm. Nicht wahrhaft und ewig tot, aber doch nicht lebendig.
Kristins Puls verlangsamte sich, sie zitterte, klapperte mit den Zähnen und wurde müde. Sie erfror ganz allmählich. Sobald das Herz anhielt, würden die Männer den flüssigen Stickstoff einleiten, der sie dann umflutete und bis in die kleinste Zelle schockfrostete.
»Eugen«, flüsterte Kristin und freute sich auf den Moment, in dem sie die Augen erneut öffnen und in sein Gesicht schauen durfte.
Dann blieb ihr Herz stehen …
Barcelona, Spanien
Als Konstantin wieder zu sich kam, lag er in einem weißen Krankenhausbett.
Gott im Himmel oder sonst wer: Lass mich nicht in von Windaus Institut gelandet sein!
Schnell sah er sich in dem Einzelzimmer um.
Neben ihm saß Marna auf einem Stuhl, hatte einen Laptop auf dem Schoß und schrieb darauf. Sie trug wieder ein Businesskostüm, grau und weiß. Die kastanienbraunen Haare lagen streng nach hinten, auf der Nase saß eine Brille. Er räusperte sich.
»Einen Moment, Korff«, bat sie und wandte die Augen nicht von ihrem Bildschirm.
»Sicher.« Er hob eine Hand zu seinem schmerzenden, geschwollenen Gesicht. Seine Finger stießen auf eine Maske.
Was ist das denn?
»Haben Sie einen Spiegel, Frau Herbst?«
Marna tippte einen letzten Buchstaben und sah ihn an. »Nein. Aber eine eingebaute Kamera.« Sie drehte den Laptop.
Konstantin sah sich im Bett sitzen. Eine Maske, die das Krankenhaus aus dem Fundus des Phantoms der Oper geklaut zu haben schien, lag auf seinem Gesicht. »Was soll das denn?«
»Bent hat Ihnen das Jochbein und noch zwei andere Knochen gebrochen«, erklärte sie. »Die Ärzte fanden es besser, die Frakturen zu sichern.« Marna lächelte. »Er ist zurück nach Schweden geflogen. Thielke begleitet ihn. Er wird sich melden, sobald sie sicher angekommen sind.«
»Ein neues Traumpaar, wie es aussieht.« Konstantin musste lachen, dann stöhnte er. Es tat weh. »Da wehre ich mich einmal nicht, und das ist das Ergebnis.«
»Es wäre vermutlich schlauer gewesen, dem Schlag auszuweichen. Aber Sie sind auch unglücklich gefallen.« Sie lehnte sich nach vorne. »Außerdem hatten Sie es verdient, Korff. Das müssen Sie zugeben. Es war nicht nett, was Sie mit ihm gemacht haben.«
»Es wäre nicht anders gegangen.« Konstantin sah die Plaça de Catalunya vor sich, er sah Sastre, die sich geopfert hatte.
Die ich geopfert habe.
Nach wie vor glaubte er, dass der Tod an diesem Tag Milde gezeigt hatte und es bei einer Warnung an die überlebenden Todesschläfer beließ, indem er lediglich Pflanzen und Tiere tötete. Konstantin verstand es als Mahnung, seinen Schnitterring niemals abzulegen und die Wut des Schnitters heraufzubeschwören. Er strich mit einem Daumen über den Ring. »Wie lange liege ich hier schon?«
»Ziemlich genau einen Tag. Ich habe den Ärzten alles gesagt, was sie wissen mussten. Mein Spanisch ist gut.«
»Und das haben die Ärzte mitgemacht?«
»Wo ich doch Ihre
Schwester
bin, Korff. Ich habe sie mit meinem Charme sogar dazu gebracht, Ihnen den Ring zu lassen«, entgegnete sie mit einem Augenzwinkern. »Nach meinem Ausweis fragte niemand. Barcelona hat gerade andere Sorgen.« Sie schaltete die Kamera des Laptops aus und rief eine Nachrichtenwebseite auf.
Dort wurde über den Fluch der Plaça de Catalunya spekuliert. Manche Experten schlossen inzwischen aus, dass der Zwischenfall von dem russischen Gas verursacht wurde, da die Menschen davon ebenso betroffen gewesen wären wie die Tier- und Pflanzenwelt. Andere behaupteten, der Grund für die ausbleibende Katastrophe sei eine fehlerhafte Gasmischung gewesen.
An gesicherten Fakten blieben sechs tote Ausländer übrig, von denen einer ersten Erkenntnissen nach von Igor erschossen worden war, sowie eine Einheimische, die exakt in der Mitte des Platzes auf dem Stern kniend verstorben war. Mystiker und andere Irre sprachen von kosmischen Strahlen, die sich im Stern der Plaça de Catalunya gebündelt hätten. Logische Erklärungen gab es keine, die Ermittlungsbehörden vermuteten einen Streit unter Terroristen.
Konstantin fühlte immer noch Erleichterung, dass alles vorbei war, doch die Schuldgefühle blieben. »Ich habe Sastre auf dem Gewissen«, sagte er schleppend.
Sie hätte noch vielen von uns helfen können.
Marna berührte ihn aufmunternd an der Hand. »Sie hätte nicht mehr lange gelebt, Korff.«
»Wie kommen
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