Oneiros: Tödlicher Fluch
sie ihm etwas angetan haben? Dann … ich wüsste nicht …«
Er erinnerte sich, dass einer der Cellisten des Orchesters Thorsten hieß. »Wer ist Thorsten?«
Ihr Blick streifte ihn, verlegen und verunsichert. »Mein Freund«, antwortete sie schließlich.
Konstantin stützte sich an der Wand ab.
Das war’s.
Nach wie vor waren seine Gefühle eine chaotische Mischung, die es ihm unmöglich machte zu ergründen, was in ihm vorging. Jedenfalls spürte er keine tiefe Verzweiflung, keinen durchdringenden Schmerz, wie es hätte sein sollen.
»Du hast mich sitzenlassen, nach einer wirren Geschichte von Märchen und … Es tat mir leid, dass ich dich ausgelacht hatte, ich wollte mich entschuldigen. Aber du bist abgetaucht, ich hörte überhaupt nichts von dir und fühlte mich immer mieser. Thorsten war für mich da. Wir redeten, kamen uns näher.« Iva fuhr sich durch das blonde Haar. »Ich … habe versucht, dich zu erreichen, um dir das zu sagen, und … dann erschienen diese Leute. Dieser MI 6 -Agent …« Sie hob die Schultern. »Tu mir den Gefallen und bleib mir vom Leib. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Was immer bei dir vorgeht, es ist mir zu abgefahren. Kümmere dich um deine Leichen und werde glücklich damit.« Iva sah sich um, während sie die Tränen mit der Hand wegwischte, und hinkte auf den Zugang zur Metro zu. Ohne ein Wort des Abschieds verschwand sie auf der Rolltreppe nach unten.
Konstantin seufzte.
Das war’s,
dachte er erneut. Er konnte keinen der Gedanken greifen, die durch seinen Kopf schossen. Es waren zu viele, und sie verschwanden ebenso schnell, wie sie auftauchten, doch in den meisten kam Marna vor. Er war von Ivas Eröffnung schockiert, erleichtert, verwirrt, fassungslos, verwundert, gelöst … »Marna, bist du noch auf dem …«
»Wie gesagt, das schuldest du mir.« Arctander baute sich unvermutet vor ihm auf, holte aus und schlug mit der Faust zu.
»Arsle!«
Konstantin hatte den Schweden vollkommen vergessen, doch trotz der Überraschung hätte er dem lahmen Hieb leicht ausweichen können. Doch er tat es nicht.
Die Faust traf ihn, die Kiefer knirschten, Blutgeschmack füllte seinen Mund. Er hatte die Kraft des schmächtigen Narkoleptikers unterschätzt. Vor Konstantins Augen funkelten Sterne, und er ging zu Boden. Es wurde schwarz um ihn.
Minsk, Weißrussland
Kristin betrat das Universitätsgebäude, in dem das Institut Leben untergebracht war, und stutzte: Der Empfang war unbesetzt. Keine bewaffneten Wächter, keine Telefone, keine Monitore. Lose Kabel hingen aus Buchsen heraus, ebenso in den Ecken, in denen einmal Kameras hingen.
Der Umzug des Instituts lief, und sie hatte den neuen Standort bereits besucht, als sie Miller dort ablieferte. Aber dass die Umzugsfirma dermaßen rasch und gründlich arbeitete, war nicht vorgesehen gewesen. Noch weniger hatte sie angeordnet, die Bewachung aufzugeben. Nach wie vor befanden sich große Teile der Forschungseinrichtung im Haus und im Keller. Vor allem die Cryotanks, die Kältestasiskammern.
Kristin sah auf die Uhr an der Wand, lauschte auf Geräusche.
Die Stille gefiel ihr nicht. Der Fahrstuhl stand, die Generatoren brummten nicht, und die Studierenden, die zu dieser Zeit Vorlesungen im Erdgeschoss hatten, schienen mucksmäuschenleise geworden zu sein.
Sie zog ihre Halbautomatik und ging zum Fahrstuhl, drückte den Rufknopf.
Die Anzeige blieb dunkel.
Kristin fluchte und ging zur Tür, die ins Treppenhaus führte. Das Zahlenschloss war entfernt worden, jeder konnte von hier aus nach oben und unten gelangen.
Sie rannte die Stufen hinauf ins erste Geschoss und entdeckte noch auf der Treppe Flecken auf dem graublau gestrichenen Betonboden, die von chemischen Substanzen und Blut stammten. In einer Ecke lagen zwei verschossene Munitionshülsen, die Tür zum ersten Stock zierten Einschusslöcher und noch mehr rote Flecken, Spritzer und Sprenkel.
Jetzt wusste Kristin, dass die Verlegung des Instituts anders als vorgesehen verlaufen war.
Sie stürmte in den Gang und schaltete das Licht ein.
Zwei Deckenlampen flackerten auf und beleuchteten die Etage, in der es nichts mehr gab außer herabbaumelnden Leitungen und den Lampen an der Decke. Geräte, Betten, sogar die Anschlussstutzen für Sauerstoffleitungen in der Wand fehlten. Kristin könnte genauso gut in einer beliebigen Fabrikhalle stehen.
Ihr Magen zog sich zusammen, ihre Kehle verengte sich. Sie hatte die Einrichtung von Geschoss eins am neuen Standort nicht
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