Onkel ist der Beste
diesem arroganten Ton, doch Terry zuckte nur die Achseln und sagte, nachdem Chapman gegangen war: »Der alte Schulschlips ist rasch fadenscheinig geworden. Jetzt heißt es Big Boss und jugendlicher Sträfling.«
Judy sah ihn unglücklich an. Unmöglich, daß sie Chapman nicht mochte, der ihr mit einer netten Mischung aus Respekt und lustigem Flirt entgegenkam. Sein Benehmen gegenüber jedem einzelnen Familienmitglied war sorgfältig abgestuft. Robert gegenüber zeigte er freundliche Toleranz, man mußte zu diesen alten Knackern höflich sein. Für Mrs. Moore hingegen hatte er zwanglose Ritterlichkeit übrig. Er war zu der Ansicht gelangt, daß sie, obwohl ungewöhnlich gutaussehend, nicht mehr jung und in allem, außer häuslichen Belangen, ziemlich dumm sei. Nur Judy gegenüber zeigte er echte Freundlichkeit, und auch dabei hatte Robert das unbehagliche Gefühl, daß seine Herablassung jener eines verbindlichen Herrn ähnelte, der einem netten Hündchen Knochen zuwirft. Was Judy dabei fühlte, wußte niemand. Hatte ihre alte Anhänglichkeit Terry gegolten, so mußte ihre neue jenem Mann gelten, mit dem sie zusammenarbeitete, einem Mann, der Energie und Klugheit bewies. Sie ging eben jetzt mit ihm zum Zusammentreiben der Schafe und dachte bei sich, daß es seit Jahren das erste Mal war, daß sie die Mutterschafe ohne Alans Hilfe hereintrieben.
Natürlich bedurften sie seiner Hilfe nicht mehr, aber warum hatte er sie so ganz und gar im Stich gelassen? Sie mußte selbst zugeben, daß Chapman ungemein tüchtig war. Seine Hunde waren besser als die Alans. Er behandelte die Tiere sachlich und dachte nicht im Traum daran, sie zu liebkosen oder zu loben. Er setzte Perfektion voraus und bekam sie. Alans Hunde waren ein wenig verwöhnt, aber alles, was sie mit Alan unternommen hatte, war immer lustig und fröhlich gewesen. Sie seufzte, als sie fortritt.
War das Leben vor Chapmans Kommen zwar anstrengend gewesen, so war es doch unbeschwert und angenehm gewesen. Alan war häufig herübergekommen, es hatte Spaß und Gelächter gegeben. Jetzt kam er nicht mehr. Judy riß sich zusammen. Natürlich hatte er sich verpflichtet gefühlt, ihnen zu helfen. Wie allen anderen, so hatten sie auch ihm leid getan. Jetzt war es vorbei, und Alan war sicher erleichtert, daß er sich nicht mehr um sie zu kümmern brauchte.
Robert war nicht der einzige, der sich in dieser Neuordnung nicht ganz zurechtfand, denn als sie eines Tages allein waren, sagte Dora: »Du magst doch Chapman nicht wirklich, oder?«
Er machte ein schuldbewußtes Gesicht, sagte aber nur: »Meine Liebe, du darfst keine übereilten Schlüsse ziehen. Ich hatte noch keine Zeit, mir eine Meinung zu bilden.«
Sie seufzte. »Natürlich fehlt Alan uns sehr, aber es wäre egoistisch, wenn wir erwarten würden, daß er uns jetzt noch viel Zeit widmet. Er muß jetzt sehr beschäftigt sein.«
Doch beide wußten sie, daß dies nicht der wahre Grund seines Fernbleibens war. Alan hatte nach einer Abwesenheit von einer Woche eines Sonntagmorgens vorbeigeschaut, doch Judy war eben mit Chapman ausgeritten. Einige Tage darauf war er wieder gekommen und hatte sich dummerweise auf eine ziemlich mühsame Erklärung seiner langen Abwesenheit eingelassen. Sie hatte dies kühl aufgenommen und gesagt: »Aber warum solltest du kommen? Wir haben alle zu tun« und war auf der Stelle hinausgegangen. Und jetzt sollte Andrew Winter zurückkommen, und es bestand kein Grund, warum sein Neffe sich nicht ernsthaft nach einer eigenen Farm oder nach einer anderen Arbeit umsehen sollte.
»Der alte Andrew ist wieder da«, sagte Judy eines Tages. »Eine wahre Landplage. Er wird wieder hier herumhängen und den einsamen Witwer mimen. Dabei ist er ein solcher Langweiler.«
Andrew hatte seine Frau vor einigen Jahren nach dreißigjähriger Ehe verloren. Sie hatten keinen Sohn, und beide Töchter waren verheiratet. Mit achtundfünfzig sah er nun einem einsamen Lebensabend entgegen, falls er nicht mehr heiratete. Daß Dora der Gegenstand seiner diesbezüglichen Hoffnungen war, wurde schon bei seinem ersten Besuch nach seiner Rückkehr klar.
Er war ein liebenswürdiger Mensch, hübscher als sein Neffe, aber ohne Alans Intelligenz und Humor. Dora behandelte ihn, wie sie Terry oder Cyril behandelte, mit dem Ergebnis, daß er, wie Judy es ausdrückte, ihr zu Füßen lag und mit jedem Tag spanielähnlicher wurde.
Robert hatte Terry und Judy dabei ertappt, wie sie mit unangebrachter Offenheit die Situation besprachen,
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