Onkel ist der Beste
statuenhaft, ja fast farblos wirken ließ.
»Elsa! Das ist eine Überraschung, nach so langer Zeit!«
»Dora, Liebste! Ach, du hast dich gar nicht verändert. Wie lange ist das jetzt her? Ich weiß es nicht mehr, jedenfalls viel zu lange. Schön, dich wiederzusehen.«
»Eine Riesenüberraschung«, versicherte Dora ihr mit geringer Begeisterung. »Und das ist mein Onkel, Robert Macalister. Onkel, Mrs. Ward und ich waren zusammen auf der Schule und kannten einander schon als kleine Kinder. Und deine Freunde im Auto? Willst du sie nicht hereinbringen?«
»Liebling, es sind fünf, alle mit einem Bärenhunger. Aber ich weiß ja, wie geschickt du bist, und auf dem Land ist es ohnehin einfacher, weil man alles zur Hand hat. Die anderen sollen ruhig eine Minute warten, bis ich dir die große Neuigkeit erzählt habe. Ich werde dich jetzt öfter so überfallen.«
Dora lächelte matt. »Du wirst dich doch nicht etwa auf dem Land niederlassen!«
»Gott behüte! Mr. Macalister, Sie müssen wissen, daß ich nicht über Doras tapferen Pioniergeist verfüge. Ich gebe offen zu, daß ich eine Stadtpflanze bin. Sie erblicken in mir die neue Redakteurin der Zeitung von Marston, niemand Geringeren. Nun, was hältst du davon?«
Die Frage war zum Glück an Dora gerichtet, denn ihr Onkel, der nur große, überregionale Zeitungen las, hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte. Dora sah erstaunt drein. »Ja, ist denn dieser Posten für dich gut genug, Elsa? Die Zeitung ist doch nicht sehr groß? Und die Frauenseite ist ziemlich miserabel.«
»War miserabel, meine Liebe. Die dafür verantwortliche Dame ist jetzt gottlob tot, sie war ein hoffnungsloser Fall. Ich bin der neue eiserne Besen und werde dich in Zukunft heimsuchen, Neuigkeiten vom Land, neue Ideen, Rezepte und was weiß ich zu erbitten. Und Mr. Macalister kann ich wegen aller gelehrten Zitate befragen, denn mir ist eben eingefallen, daß er der englische Onkel sein muß, der so schrecklich gebildet ist. Es wird ein Riesenspaß, wir werden richtig jung werden.«
»Onkel Robert wird dir vielleicht eine Hilfe sein, aber ich nicht. Du hast immer mehr Ideen gehabt als ich. Aber es kommt mir so ungastlich vor, alle da draußen zu lassen. Warte mal — fünf hast du gesagt?« Sie runzelte die Stirn, und Robert wußte, daß sie im Geist eine schwierige Rechnung aufstellte. Wie teilt man vier Portionen Hammelfleisch in neun? Sie würde es schon schaffen, wie sie es immer schaffte, würde es auch schaffen, sich Elsas Geschnatter anzuhören, während sie das Essen zubereitete. Inzwischen kämpfte Robert heroisch mit den anderen Gästen. Wer sie waren, konnte er nicht ganz herausbekommen. Einer schien Ferguson zu heißen. Sie hatten diese lange und beschwerliche Fahrt auf Elsas Drängen hin unternommen und waren jetzt ziemlich erbost darüber.
»Ich hatte keine Ahnung, daß es so weit ist, und Mrs. Ward hat uns gesagt, die Straßen wären gut«, bemerkte der Besitzer des Wagens spitz. In der Küche machte Dora zur Begütigung noch ein Glas frische Pfirsiche auf, als hoffte sie, ihn damit für eventuelle Schäden am Wagen zu entschädigen. Sie würden höchstwahrscheinlich nie wieder hier auftauchen, überlegte Robert. Diesen Entschluß hatte er in Mr. Fergusons’ Augen gelesen. Dann mußte er diesen Gedanken abrupt fallen lassen, denn er hörte Mrs. Ward fröhlich sagen: »Nächstes Mal in meinem kleinen Wagen. Ja, der gehört zum Job, und ich werde dafür sorgen, daß man auch die Fahrtkosten übernimmt. Du wirst mich also oft zu Gesicht bekommen, Dora, und wir werden unsere Jugend wiedererleben.«
Waren die beiden wirklich gleichaltrig? Auf den ersten Blick hätte Robert Elsa Ward für jünger gehalten. Ihr gefärbtes Haar, das sie in kurzen, fast kindischen Löckchen trug, hatte keine grauen Strähnen. Ihre Kleinheit, die vogelartigen Bewegungen, das sorgfältige Make-up hatten seine Unerfahrenheit getäuscht. Doch als er ihr in die Augen sah, merkte er, daß sie viel älter wirkten als Doras Augen, alt und desillusioniert. Als Gegensatz zur jugendlichen Haut und dem gefärbten Haar wirkten die Augen geradezu schockierend.
In der Küche mußte Dora so manche Frage Elsas beantworten. »Wirklich schon über sechzig? Sieht viel jünger aus. Nie verheiratet? Erstaunlich.«
»Er hat als junger Mann geheiratet, seine Frau starb nach einem Jahr.«
»Und er hat ihr Andenken so in Ehren gehalten? Wie ungewöhnlich! Wird er in Zukunft bei dir leben, meine Liebe?« Ihre Augen
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