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Onkel Toms Hütte

Titel: Onkel Toms Hütte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beecher-Stowe Harriet
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Wirklichkeit war ihm verblieben, eine flache, leere Wirklichkeit.
    Natürlich, in einem Roman bricht den Leuten das Herz, und sie sterben, damit endigt das Ganze, und in einer Geschichte ist das sehr praktisch. Aber im wirklichen Leben sterben wir nicht, wenn alles, was uns das Leben hell macht, zugrunde geht. Da bleibt noch immer der gewichtige Kreislauf von Essen und Trinken, von Ankleiden und Ausgehen, von Besuchen, von Kaufen und Verkaufen, von Reden und Lesen; was wir gemeinhin das Leben nennen bleibt übrig und ist zu bestehen, und dieses blieb auch Augustin übrig. Wäre seine Frau eine richtige Frau gewesen, hätte sie noch manches tun können – wie Frauen das verstehen –, um die zerrissenen Fäden seines Lebens wieder anzuknüpfen und sie aufs neue zu einem glänzenden Gewebe zu verarbeiten. Aber Marie St. Clare bemerkte nicht einmal, daß sie zerrissen waren. Wie wir bereits berichteten, bestand sie aus einer blendenden Figur, glänzenden Augen und hunderttausend Dollar. Keine dieser Eigenschaften war dazu angetan, ein krankes Gemüt zu pflegen.
    Im Grunde seines Herzens war Augustin froh, daß er eine so wenig einsichtige Frau geheiratet hatte; aber als der erste Glanz der Flitterwochen verflogen war, entdeckte er, daß eine schöne, junge Frau, die ihr Leben lang nur verhätschelt und bedient worden war, im täglichen Leben eine sehr harte Herrin sein kann. Marie hatte nie viel Gefühl oder Gemüt besessen, das wenige aber, was sie hatte, wurde von einer großen Selbstsucht aufgesogen.
    Als St. Clare anfing, in seinem Unglück die kleinen Aufmerksamkeiten zu unterlassen, kam es zu Tränenströmen, Schmollen und heftigen Ausbrüchen, zu Auftritten, Klagen und Beschwerden. St. Clare war gutherzig und nachgiebig und suchte sie mit Geschenken und Schmeicheleien zu beschwichtigen, und als Marie ihm eine süße, kleine Tochter schenkte, empfand er große Zärtlichkeit für sie.
    St. Clares Mutter war eine Frau von ungewöhnlicher Hoheit und Reinheit des Charakters gewesen, daher gab er seinem Kind den Namen seiner Mutter in der zärtlichen Vorstellung, daß sie damit zu deren Ebenbild werde. Dies war seiner Frau nicht entgangen, sie betrachtete die hingebende Liebe ihres Mannes zu dem Kinde mit Argwohn und Abneigung.
    Mit ihren Klagen nahm es kein Ende. Aber ihre ganze Stärke schien in der Migräne zu liegen, die sie zuweilen drei Tage in der Woche ans Zimmer fesselte. Damit fiel natürlich die Lenkung des Haushalts den Dienstboten zu, so daß St. Clare sein häusliches Leben keineswegs als behaglich empfand. Seine kleine Tochter war sehr zart. Da niemand sich um sie kümmerte und nach ihr sah, mußte er fürchten, daß ihre Gesundheit und ihr Leben der Unfähigkeit ihrer Mutter zum Opfer fallen könnte. Daher hatte er sie auf eine Reise nach Vermont mitgenommen und seine Kusine, Miß Ophelia St. Clare überredet, gemeinsam mit ihnen in die Südstaaten zurückzukehren. Auf unserem Dampfer, wo wir sie soeben vorstellten, befanden sie sich auf der Heimreise.
    Während sich in der Ferne bereits die Türme und Dächer von New Orleans abzeichnen, bleibt uns noch Zeit genug, auch Miß Ophelia vorzustellen.
    Auf einer Farm voll Ordnung und Sauberkeit, in einer Familie von strengen Grundsätzen und in einem Hause, das stets aussah, als ob gerade alles frisch aufgeräumt wäre, hatte Miß Ophelia ein ruhiges Leben von ungefähr fünfundvierzig Jahren zugebracht, als ihr Vetter kam und sie nach den Südstaaten einlud. Als Älteste einer großen Familie wurde sie von Vater und Mutter noch immer als ›eins der Kinder‹ betrachtet, und der Vorschlag, nach Orleans zu reisen, war für den ganzen Familienkreis ein Ereignis. Der alte grauköpfige Vater holte den Atlas aus dem Bücherschrank und schlug den genauen Breiten- und Längengrad nach; er zog verschiedene Reiseführer zu Rate, um sich über das fremde Land eine Meinung zu bilden.
    Die gute Mutter fragte ängstlich, ob ›Orleans nicht ein gottloser Ort sei‹, und erklärte, daß ihr eine solche Reise nicht anders vorkäme, als wenn sie nach den Sandwich-Inseln oder unter die Heiden führe.
    Der Leser sieht Miß Ophelia jetzt in einem Reisekleid aus glänzend braunem Leinen, eine große, breitschultrige, eckige Gestalt. Ihr Gesicht war dünn, mit scharfen Umrißlinien, die Lippen zusammengepreßt wie bei Leuten, die gewohnt sind, über alle Dinge eine feste Meinung zu haben; während die lebhaften Augen einen merkwürdig forschenden und überlegten Ausdruck

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