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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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spinnwebdünnen Draht im Inneren des Glaskolbens zickzackförmig verlegen, sodass man ein kompliziertes, käfigartiges Glühfadengewebe erhielt. Zwar wurde Tantal etwas weicher, wenn man es erhitzte, trotzdem bewährten sich diese Glühfaden so hervorragend, dass sie schließlich die Vorherrschaft des Gasglühstrumpfes infrage stellten. «Plötzlich waren Tantallampen die große Mode», sagte Onkel.
    Bis zum Ersten Weltkrieg blieben Tantalglühlampen der letzte Schrei, doch noch auf der Höhe ihres Erfolgs wurde ein Glühfaden aus anderem Metall erprobt, aus Wolfram. Die ersten brauchbaren Wolframlampen wurden 1911 angefertigt. Sie arbeiteten kurzzeitig bei sehr hohen Temperaturen, obwohl sie sich durch die Ablagerungen des verdampfenden Wolframs auf der Innenseite der Glasfläche rasch schwarz färbten. Der erfindungsreiche amerikanische Chemiker Irving Langmuir schlug angesichts dessen vor, ein nicht reaktionsfähiges Gas zu verwenden, das Druck auf den Glühfaden ausübe und dadurch seine Verdampfung verringere. Ein absolut inertes Gas, ein Edelgas, war gefragt, und als Kandidat bot sich offenkundig Argon an. Fünfzehn Jahre zuvor war es isoliert worden, doch bislang nur in kleinen Labormengen verfügbar. Die Gasfüllung warf noch ein anderes Problem auf: Durch die Konvektion im Gas kam es zu massivem Wärmeverlust. Der ließ sich nur verhindern, wie Langmuir erkannte, wenn man den Glühfaden so kompakt wie möglich knüpfte, sodass man eine eng gewickelte Drahtspirale erhielt und kein flächiges Spinnennetz. Eine solche enge Spirale ließ sich aus Wolfram herstellen, und 1913 fügte man dies alles zusammen: fein gezogener Wolframdraht, zu engen Spiralen gewickelt, in einem mit Argon gefüllten Glaskolben. Die Tage der Tantallampe waren damit gezählt. Das härtere, billigere, energieeffizientere Wolfram würde ganz zweifellos schon bald die Vorherrschaft antreten (tat dies allerdings erst nach dem Krieg, als Argon in den erforderlichen Mengen verfügbar wurde). Daraufhin entschieden sich viele Hersteller für Wolframlampen, und auch Onkel Dave gründete zusammen mit einigen seiner Brüder (und drei Brüdern seiner Frau, den Wechslers, die ebenfalls Chemiker waren) die Firma Tungstalite.
    Onkel Dave liebte es, mir diese Saga zu erzählen, die er großenteils selbst erlebt hatte und deren Protagonisten Helden für ihn waren, nicht zuletzt, weil sie es verstanden hatten, ihre Leidenschaft für die reine Wissenschaft mit einem ausgeprägten Sinn für das Praktische und Geschäftliche zu verbinden (Langmuir, so erzählte er mir, sei der erste Industriechemiker gewesen, der einen Nobelpreis bekommen habe).
    Onkel Daves Glühlampen waren größer als die von Osram, General Electric oder anderen bekannten Herstellern - größer, schwerer und fast lächerlich robust, sie schienen ewig zu halten. Manchmal hoffte ich darauf, dass sie ihren Geist aufgaben, um sie zu zerschlagen (nur schwer hinzukriegen) und ihre Wolframfäden und Molybdänhalter herauszuziehen. Dann würde ich das Vergnügen haben, aus dem dreieckigen Schrank unter der Treppe eine nagelneue Glühlampe aus ihrer zerknitterten Pappschachtel hervorzuziehen. Andere kauften ihre Glühlampen einzeln, wir bekamen sie kartonweise aus der Fabrik, Dutzende von 60-Watt- und 100-Watt-Birnen, obwohl wir auch kleine 15-Watt-Birnen für Schränke und Nachttischlampen verwendeten, außerdem eine blendend helle 300-Watt-Lampe für die Haustür. Onkel Tungsten stellte Glühlampen aller Art und Größe her, von winzigen l 1/2-Volt-Birnen für kleine Taschenlampen bis zu solch ungeheuren Glühlampen für Flutlichtanlagen und Scheinwerfer. Es gab auch Birnen von besonderer Form, die für Instrumentenfelder, Augenspiegel und andere medizinische Gerätschaften bestimmt waren, sogar Glühlampen mit Tantalfaden (trotz Onkels Liebe zu Wolfram) für Filmprojektoren und die Lampen in Zügen. Solche Fäden waren weniger energieeffizient, weniger widerstandsfähig bei höheren Temperaturen, wohl aber besser in der Lage, Vibrationen auszuhalten. Ich zerschlug auch diese gern, genoss den dumpfen Laut, mit dem sie zerplatzten, und zog den Tantaldraht heraus, um ihn meiner wachsenden Sammlung von Metallen und Chemikalien hinzuzufügen.
    Onkels Glühlampen und mein Hang zur Improvisation veranlassten mich, ein eigenes Beleuchtungssystem im Innern des dunklen Schrankes unter der Treppe zu installieren. Dieser Raum hatte mich seit jeher fasziniert und ein wenig geängstigt, denn er hatte kein

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