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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Kohlenstoff rasch erwärmen und zum Glühen bringen würde. Edison versuchte, Spiralen aus elementarem Kohlenstoff herzustellen, ähnlich den Metallspiralen, aus denen die ersten Glühfaden bestanden hatten, doch diese Kohlenstoffspiralen zerfielen. Seine Lösung - fast lächerlich einfach, obwohl es eines genialen Einfalls bedurfte, um darauf zu kommen: Er nahm eine organische Faser (Papier, Holz, Bambus, einen Leinen- oder Baumwollfaden) und verbrannte sie bis auf ein Kohlenstoffskelett, das fest genug war, um zusammenzuhalten und einen elektrischen Strom zu leiten. Wenn man diese Glühfaden in luftentleerte Glaskolben einsetzte, lieferten sie Hunderte von Stunden lang ein gleichmäßiges Licht.
    Edisons Glühlampen eröffneten die Möglichkeit einer echten Revolution - obwohl sie natürlich auf ein vollkommen neues System von Dynamos und elektrischen Leitungen angewiesen waren. «Das erste zentrale elektrische System der Welt wurde von Edison 1882 genau hier angelegt», sagte Onkel, während er mich ans Fenster führte und auf die Straße darunter zeigte. «Große dampfbetriebene Stromerzeuger wurden dort drüben auf dem Holburn Viaduct aufgestellt und versorgten dreitausend elektrische Glühlampen entlang des Viadukts und auf der Farringdon Bridge Road.»
    Die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren dann geprägt von elektrischen Glühlampen und der Errichtung eines ganzen Netzes von Kraftwerken und Überlandleitungen. Doch 1891 erwuchs der jungen elektrischen Lichtindustrie in Auers weiterentwickelten Glühstrümpfen ernsthafte Konkurrenz. Sie arbeiteten sparsam und kostengünstig (und konnten an vorhandene Gasleitungen angeschlossen werden). Meine Onkel hatten mir von dem Kampf zwischen elektrischem Licht und Gasbeleuchtung in ihrer Jugend erzählt; mal neigte sich die Waagschale zugunsten der einen und mal zugunsten der anderen Technik. Viele Häuser in diesem Gebiet - auch das unsere - wurden für beides ausgerüstet, weil man nicht wusste, welche Beleuchtungsform sich am Ende durchsetzen würde. (Noch fünfzig Jahre später, in meiner Kindheit, wurden viele Straßen in London, besonders in der City, von Gaslaternen beleuchtet. Manchmal sah man in der Dämmerung den Lampenanzünder mit seiner langen Stange von einer Straßenlaterne zur anderen wandern und sie nacheinander entzünden. Ich liebte diesen Anblick.)
    Trotz aller Vorzüge hatten die Kohlenstofflampen auch ihre Nachteile. Sie waren zerbrechlich, und dies bei Gebrauch zunehmend. Außerdem hielten sie nur einer relativ niedrigen Betriebstemperatur stand, sodass sie lediglich ein gelbes Funzellicht spendeten und kein strahlend weißes.
    Gab es eine Lösung dafür? Man brauchte ein Material mit einem Schmelzpunkt, der etwa so hoch wie der des Kohlenstoffs läge, mindestens um die 3000 Grad Celsius, jedoch eine viel größere Festigkeit besäße als der Kohlenstofffaden. Nur drei solche Metalle waren bekannt, sagte Onkel Dave: Osmium, Tantal und Wolfram. Hier schien er deutlich lebhafter zu werden. Er schätzte Edison und seinen Erfindungsreichtum außerordentlich, aber Kohlenstofffäden waren augenscheinlich nicht nach seinem Geschmack. Ein ordentlicher Glühfaden, so schien er zu meinen, müsse aus Metall sein, weil man nur Metall zu richtigen Drähten ziehen konnte. Ein Draht aus Ruß, so lachte er verächtlich, das sei ein Widerspruch in sich, und es sei ein Wunder, dass sie überhaupt so lange gehalten hätten.
    Die ersten Osmiumlampen wurden 1897 von Auer hergestellt. Onkel Dave hatte eine von ihnen in seiner Vitrine. Doch Osmium war sehr selten und kostspielig - die gesamte Weltproduktion betrug nur sieben Kilogramm im Jahr. Außerdem war es fast unmöglich, das Osmium zu Draht zu ziehen, also musste man das Osmiumpulver mit einem Bindemittel mischen und in eine Form gießen, in der das Bindemittel nach und nach verbrannt wurde. Schließlich waren diese Osmiumfaden auch noch sehr brüchig und rissen, wenn man die Glühlampen auf den Kopf stellte.
    Tantal war seit mehr als hundert Jahren bekannt, allerdings hatte es sich als äußerst schwierig erwiesen, das Metall zu reinigen und zu bearbeiten. Doch bis 1905 wurde dies immerhin ausreichend möglich, um es zu Drähten ziehen zu können. Mit Glühfaden aus Tantal ließen sich Glühlampen so massenhaft und kostengünstig herstellen, dass sie im Gegensatz zu den Osmiumlampen mit den Kohlenstofflampen konkurrieren konnten. Doch um den nötigen Widerstand zu sichern, musste man einen sehr langen,

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