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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Element waren. Es war höchst selten, dass Elemente eine Reihe ganz verschiedener Erscheinungsformen aufwiesen (jedenfalls vor der Entdeckung des roten Phosphors oder der Schwefelallotrope). Davy fragte sich, ob sie möglicherweise verschiedene «Aggregationsformen» der Atome selbst darstellten, doch erst viel später, mit der Entwicklung der Strukturchemie, ließ sich dies genauer bestimmen (die Härte des Diamanten geht, wie sich dann zeigen ließ, auf die tetraedrische Form seiner Atomgitter zurück, während die weiche, fettige Beschaffenheit des Graphits an der Anordnung seiner sechseckigen Gitter in parallelen Schichten liegt).
    Als Davy von der Hochzeitsreise nach London zurückkehrte, wartete dort eine der größten praktischen Herausforderungen seines Lebens auf ihn. Die industrielle Revolution, die allmählich in Schwung kam, verschlang immer größere Mengen von Kohle, daher wurden die Kohlebergwerke immer tiefer in die Erde getrieben, so tief, dass man auf explosive oder giftige Gasblasen stieß, die «schlagenden Wetter» (Methan) und die «Stickwetter» (Kohlendioxid). Ein Kanarienvogel, der im Käfig mitgeführt wurde, zeigte die Gegenwart der giftigen Stickwetter an, doch das erste Anzeichen eines schlagenden Wetters war allzu oft eine tödliche Explosion. Es musste also unbedingt eine Grubenlampe entwickelt werden, die die stockfinsteren Tiefen der Bergwerke erhellte, ohne die schlagenden Wetter zu entzünden.
    Davy machte eine entscheidende Beobachtung - keine Flamme entkam durch ein enges Drahtgeflecht, solange dieses kalt blieb. [27] Er entwickelte viele verschiedene Lampenarten, denen dieses Prinzip zugrunde lag. Das einfachste und verlässlichste Modell war eine Öllampe, bei der die Luft allein durch Schichten von engmaschigen Drahtnetzen hinein- oder hinausgelangen konnte. Verbesserte Modelle dieser Lampen wurden 1816 erprobt und erwiesen sich nicht nur als sicher, sondern durch das Erscheinungsbild der Flamme auch als zuverlässige Signallampen, die das Vorkommen von schlagenden Wettern anzeigten.
    Ferner entdeckte Davy, dass ein Platindraht, den man in ein explosives Gemisch hielt, zwar glühte, aber das Gemisch nicht entzündete. Er hatte das Wunder der Katalyse entdeckt: dass gewisse Stoffe, etwa die Platinmetalle, eine fortgesetzte chemische Reaktion an ihrer Oberfläche anregen, ohne selbst verbraucht zu werden. So erwärmte sich beispielsweise die Platinschlaufe, die wir über dem Küchenherd in den Gasstrom hielten, und entzündete ihn, sobald sie rotglühend geworden war. Dieses Prinzip der Katalyse wurde in Tausenden von Industrieprozessen unentbehrlich. [28]
    In einem Ausmaß, das mir erst später klar wurde, waren Humphry Davy und seine Entdeckungen ein Teil unseres Lebens, von den galvanisch veredelten Bestecken über den katalytischen Gasanzünder, der aus einer Platinöse bestand, oder die Fotografie (die er als einer der Ersten ausübte, indem er auf Leder Abzüge machte, mindestens dreißig Jahre bevor andere das Verfahren wieder entdeckten) bis hin zur Bogenlampe mit ihrem grellen Licht, die zur Projektion der Filme im örtlichen Kino benutzt wurde. Aluminium, einst kostspieliger als Gold (Napoleon III. war dafür berühmt, dass er seine Gäste auf Goldtellern beköstigte, während er selbst auf Aluminium speiste), war billig geworden, weil es sich dank der Davyschen Elektrolyse in großen Mengen gewinnen ließ. Und die unzähligen Kunstprodukte, die uns umgaben, von den Kunstdüngern bis zu unseren glänzenden Bakelittelefonen, sie alle waren nur möglich durch die Magie der Katalyse. Vor allem aber faszinierte mich Davys Persönlichkeit, nicht bescheiden wie Scheele, nicht systematisch wie Lavoisier, sondern beflügelt von dem Überschwang und der Begeisterung der Jugend, von wunderbar wagemutiger und manchmal auch gefahrlicher Impulsivität - immer im Begriff, einen Schritt zu weit zu gehen. Das vor allem beeindruckte mich zutiefst.
KAPITEL ZWÖLF

BILDER
    Zu einer zweiten Leidenschaft war mir die Fotografie geworden, und mein kleines Labor, das so schon überquoll, diente nun auch noch häufig als Dunkelkammer. Wenn ich versuche, mir zu vergegenwärtigen, was mich denn eigentlich zur Fotografie getrieben hat, dann fallen mir die beteiligten Chemikalien ein häufig wiesen meine Hände Pyrogallolflecken auf und immer schienen sie nach Hypo zu riechen, nach Natriumhyposulfit. Oder die Speziallampen - das tiefe Rubinrot der Dunkelkammerbeleuchtung, die großen

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