Onkel Wolfram - Erinnerungen
Ich wollte alle Prozesse, die daran beteiligt waren, verstehen, beherrschen und auf meine eigene Weise gestalten.
Besonders fasziniert war ich von den Anfangen der Fotografie und den chemischen Entdeckungen, die sie möglich gemacht hatten: Bereits 1725 war erkannt worden, dass Silbersalze unter Lichteinwirkung dunkel werden. Oder Humphry Davy - er hatte (zusammen mit seinem Freund Thomas Wedgwood) Kontaktbilder von Blättern und Insektenflügeln auf zuvor in Silbernitrit eingeweichtem Papier oder weißern Leder angefertigt. Sie machten sogar Fotografien mit einer Camera lucida, waren aber nicht in der Lage, die dergestalt gewonnenen Bilder zu fixieren, konnten sie nur bei rotem oder bei Kerzenlicht betrachten, sonst wären sie vollkommen schwarz geworden. Ich fragte mich, warum Davy, der doch ein so kundiger Chemiker und so vertraut mit Scheeles Arbeit war, sich nicht dessen Beobachtung zunutze machen und mit Ammoniak diese Bilder hat «fixieren» können (durch Beseitigung des überflüssigen Silbersalzes). Hätte er es getan, würde er heute vielleicht als Vater der Fotografie gelten, weil er den Durchbruch, der so erst in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts stattfand, vorweggenommen hätte. Da gelang es nämlich Fox Talbot, Daguerre und anderen, den Bildern Dauer zu verleihen, indem sie sie mit Chemikalien entwickelten und fixierten.
Wir wohnten ganz in der Nähe von meinem Vetter Walter Alexander (in seine Wohnung hatten wir uns geflüchtet, als während der deutschen Luftangriffe eine Bombe in Nachbars Garten eingeschlagen war). Trotz des großen Altersunterschiedes (zwar ein Cousin ersten Grades, aber doch dreißig Jahre älter als ich) entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen uns, denn er war von Beruf Zauberkünstler und Fotograf und blieb sein Leben lang ein verspielter Charakter, der Zauberkunststücke und Illusionen aller Art liebte. Walter verdankte ich eine erste Einführung in die Fotografie, denn er zeigte mir das magische Hervortreten eines Bildes beim Entwickeln in seiner rot beleuchteten Dunkelkammer. Ich wurde nie müde, staunend zu beobachten, wie die erste schwache Ahnung eines Bildes - war es wirklich vorhanden oder täuschte ich mich nur selbst? - langsam stärker, reicher und deutlicher wurde und zu vollem Leben erwachte, während er den Film in der Schale mit dem Entwicklungsbad hin und her schwimmen ließ, bis sich schließlich ein winziges, vollkommenes Faksimile der abgelichteten Wirklichkeit zeigte.
Rose Landau, Walters Mutter, war in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit ihren Brüdern nach Südafrika gegangen und hatte dort in den frühen Tagen des Gold- und Diamantenbooms die Bergwerke und Bergleute, Kneipen und rasch zusammengezimmerten Städte der Glücksritter fotografiert. Um solche Fotografien zu machen, bedurfte es zu jener Zeit neben der Kühnheit auch einer beträchtlichen Körperkraft, denn sie musste die schweren Kameras und all die erforderlichen Glasplatten mit sich herumschleppen. Rose war 1940 noch am Leben und die Einzige der Onkel und Tanten aus der ersten Ehe meines Großvaters, die ich jemals kennen lernte. Walter besaß noch die Kamera, die sie damals benutzt hatte, dazu eine ansehnliche Sammlung eigener Kameras und Stereoskope.
Außer einer originalen Daguerre-Kamera nebst den Kästchen für Jodsalz und Quecksilber besaß Walter eine riesige Reflexkamera mit schwenkbarem Objektiv und Balgen, mit der man Blattfilme von 8 mal 10 Zoll belichten konnte (die benutzte er noch manchmal für Porträtaufnahmen im Studio), eine Stereokamera und ein schöne kleine Leica mit l:3,5-Objektiv - die erste 35-Millimeter-Kleinbildkamera, die ich zu Gesicht bekam. Die Leica war seine Lieblingskamera, wenn er Wandertouren unternahm. Sonst verwendete er meistens eine Rolleiflex, eine Zweilinsenreflexkamera. Ferner besaß er einige Spezialkameras vom Anfang des Jahrhunderts - eine war für Detektive bestimmt; sie sah aus wie eine Taschenuhr und machte Bilder auf einem 16-Millimeter-Film.
Ich selbst versuchte mich zunächst an Schwarzweiß-Aufnahmen - sonst hätte ich meine Filme nicht selbst entwickeln und abziehen können -, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass es ihnen an Farbe «fehlte». Meine erste Kamera war eine Lochkamera, die überraschend gute Bilder mit einer enormen Tiefenschärfe machte. Dann hatte ich eine einfache Box mit feststehendem Objektiv - sie kostete zwei Shilling bei Woolworth; anschließend eine Kodak-Klappkamera mit Rollfilm 620.
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