Onkel Wolfram - Erinnerungen
Mich faszinierten Geschwindigkeit und Feinheit verschiedener Emulsionen, von den langsamen feinkörnigen, die kleinste Details herausarbeiteten, bis hin zu den raschesten Emulsionen, die fast fünfzigmal schneller als einige der langsamen Emulsionen wirkten, sodass man sogar Nachtaufnahmen machen konnte (allerdings wurden sie so körnig, dass man sie kaum vergrößern konnte). Ich betrachtete einige dieser Emulsionen unter dem Mikroskop, um zu sehen, wie die Silberkörner tatsächlich aussahen, und fragte mich, ob es Silberkörner gab, die klein genug waren, um eine Emulsion praktisch ohne jede Körnigkeit zu bekommen.
Begeistert stellte ich lichtempfindliche Emulsionen selbst her, obwohl sie im Vergleich zu den gekauften schrecklich grob und langsam waren. Ich nahm eine zehnprozentige Silbernitratlösung und fügte sie gleichmäßig und unter ständigem Rühren zu einer Lösung von Kaliumchlorid und Gelatine hinzu. Die in der Gelatine schwebenden Kristalle waren außerordentlich fein und nicht allzu lichtempfindlich, daher konnte ich die Prozedur bei Rotlicht gefahrlos durchführen. Die Kristalle wurden größer und lichtempfindlicher, wenn man die Emulsion mehrere Stunden erwärmte, dann lösten sich die kleinsten Kristalle nämlich wieder auf und lagerten sich an den größeren an. Nach dieser «Reifung» fügte man noch etwas Gelatine hinzu, ließ das Ganze zu einem festen Gelee erstarren und strich es dann aufs Papier.
Ich konnte auf die Gelatine auch ganz verzichten und das Papier direkt mit Silberchlorid imprägnieren, indem ich es zunächst in eine Salzlösung tauchte und dann in Silbernitrat. Das Silberchlorid, das sich auf diese Weise bildete, wurde von den Fasern des Papiers festgehalten. So oder so konnte ich mein eigenes Kopierpapier herstellen. So nannte man es. Damit ließen sich Kontaktabzüge von Negativen anfertigen oder die Silhouette von Spitze oder Farnkraut bannen, allerdings bedurfte es dazu einiger Minuten direkten Sonnenlichts.
Nach Fixierung der Bilder mit Hypo gleich nach der Belichtung ergaben sich in der Regel hässliche braune Farben, was mich zu Experimenten mit Tonungen verschiedener Art veranlasste. Am einfachsten war die Sepia-Tonung - nicht (leider nicht) mit Sepia, mit der Tinte von Tintenfisch, wie ich gehofft hatte, sondern durch Umwandlung des Silbers im Bild in sepiafarbenes Silbersulfid. Auch eine Goldtonung war möglich - dazu brauchte es ein Bad in einer Goldchloridlösung. Die Ablagerung von metallischem Gold an den Silberkörnern ergab ein bläulich purpurfarbenes Bild. Und wenn man das Ganze nach einer Sulfidtonung versuchte, erhielt man eine prachtvolle rote Farbe, ein Bild in Goldsulfid.
Rasch wandte ich mich daraufhin anderen Formen der Tonung zu. Selentonung ergab eine kräftige rötliche Färbung, bei Palladium- und Platintonung hatten die Abzüge eine fein abgestufte, gedeckte Farbqualität, weit besser, wie mir schien, als die üblichen Silberabzüge. Natürlich musste man mit einem Silberbild beginnen, weil nur Silbersalze lichtempfindlich sind, doch dann konnte man sie durch fast jedes andere Metall ersetzen. Ohne Schwierigkeiten ließ sich das Silber durch Kupfer, Uran oder Vanadium ersetzen. Eine besonders abenteuerliche Kombination war die Mischung eines Vanadiumsalzes mit einem Eisensalz wie Eisenoxalat, woraufhin sich das Gelb des Vanadiumferrozyanids und das Blau des Ferriferrozyanids zu einem strahlenden Grün verbanden. Mit Vergnügen verblüffte ich meine Eltern mit den Bildern von grünen Sonnenuntergängen, grünen Gesichtern und Feuerwehrautos oder Doppeldeckerbussen, die sich grün gefärbt hatten. Mein fotografisches Handbuch beschrieb auch Tonungen mit Zinn, Kobalt, Nickel, Blei, Kadmium, Tellur und Molybdän - doch ich musste mir an diesem Punkt selber Einhalt gebieten, weil sich die Tonung zur Obsession auswuchs und auszuufern drohte; ich war im Begriff, alle Metalle, die ich kannte, in der Dunkelkammer auszuprobieren und zu vergessen, was Fotografieren eigentlich hieß. Diese Tendenz zur Maßlosigkeit war offenbar auch der Schule nicht verborgen geblieben, denn etwa zu dieser Zeit hieß es in meinem Zeugnis: «Sacks wird es weit bringen, wenn er nicht zu weit geht.»
In Walters Sammlung befand sich eine merkwürdige, unförmige Kamera - eine, wie er sagte, Farbkamera: ihr Inneres enthielt zwei teildurchlässige Spiegel, die das einfallende Licht in drei Strahlen aufteilten, welche wiederum durch verschiedenfarbige Filter auf drei einzelne
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