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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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hatte, denn Glenn Seaborg und seinen Mitarbeitern in Berkeley war es gelungen, zahlreiche Transurane zu gewinnen - die Elemente 93, 94, 95 und 96 -, und sie hatten festgestellt, dass diese Elemente tatsächlich zu einer zweiten Reihe seltener Erden gehörten. [50]
    Die Anzahl der Elemente in der zweiten Reihe seltener Erden, so meinte Seaborg, würde entsprechend der ersten Reihe ebenfalls vierzehn betragen. Nach dem vierzehnten (Element 103) seien zehn Übergangselemente zu erwarten und erst dann das abschließende Element der Periode 7, ein Edelgas als Element 118. Danach würde eine neue Periode wie alle anderen mit einem Alkalimetall beginnen, Element 119.
    Offenbar ließ sich das Periodensystem auf diese Weise auf neue Elemente weit jenseits des Urans ausdehnen, Elemente, die es möglicherweise noch nicht einmal in der Natur gab. Ob diese Transurane irgendeine Grenze hatten, war nicht klar: Vielleicht würden die Atome solcher Elemente zu groß, um noch zusammenzuhalten. Doch das Prinzip der Periodizität war von grundlegender Bedeutung und ließ sich offenbar endlos ausdehnen.
    Zwar begriff Mendelejew das Periodensystem in erster Linie als ein Werkzeug zur Organisation und Vorhersage der Eigenschaften von Elementen; er war aber auch der Meinung, es verkörpere ein fundamentales Gesetz, und dachte auch schon mal «über die unsichtbare Welt der Atome» nach. Denn so viel war klar, im Periodensystem kamen beide Seiten zum Ausdruck: nach außen die manifesten Eigenschaften der Elemente, nach innen eine noch unbekannte atomare Eigenschaft, die diese bestimmte.
    Schon bei der ersten, langen, versunkenen Begegnung im Science Museum war ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Tafel des Periodensystems weder willkürlich noch oberflächlich, sondern eine Darstellung von Wahrheiten war, welche nie überholt sein würden, sondern sich ganz im Gegenteil fortwährend bestätigen, immer neue Tiefen mit immer neuen Einsichten offenbaren würden; denn die Tafel war so tief und so einfach wie die Natur selbst. Diese Erkenntnis löste in meinem zwölfjährigen Selbst eine Art von Ekstase aus, das Gefühl (um mit Einstein zu sprechen), «ein Zipfel des großen Schleiers» sei gelüftet worden.
KAPITEL SIEBZEHN

EIN TASCHENSPEKTROSKOP
    Vor dem Krieg veranstalteten wir an Guy Fawkes abends stets ein kleines Feuerwerk. Am liebsten hatte ich das bengalische Feuer, das strahlend grün oder rot leuchtete. Das Grün, so hatte meine Mutter mir erzählt, werde von einem Element hervorgerufen, das Barium heiße, das Rot von Strontium. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, was Barium und Strontium seien, aber ihre Namen blieben mir, wie ihre Farben, im Gedächtnis.
    Als meine Mutter sah, wie hingerissen ich davon war, zeigte sie mir, wie die Gasflamme plötzlich aufflackerte und strahlend gelb wurde, wenn man eine Prise Salz hineinwarf. Das sei auf die Anwesenheit eines anderen Elementes - Natrium - zurückzuführen (schon die Römer hätten es verwendet, sagte sie, um ihren Flammen und Leuchtfeuern kräftigere Farben zu verleihen). In gewissem Sinne wurde ich also schon vor dem Krieg mit «Flammproben» vertraut gemacht. Doch erst Jahre später in Onkel Daves Labor erfuhr ich, dass sie ein unverzichtbarer Teil des chemischen Lebens waren, weil sie die Möglichkeit eröffneten, bestimmte Elemente zu entdecken, selbst wenn diese nur in kleinsten Mengen vorhanden waren.
    Man brauchte nur eine winzige Probe des Elements oder einer seiner Verbindungen auf eine Öse aus Platindraht zu nehmen und sie dann in die farblose Flamme eines Bunsenbrenners zu halten, schon zeigte sich die entsprechende Färbung. Ich untersuchte eine Reihe von Flammenfarben: die azurblaue Farbe des Kupferchlorids und das Hellblau - das «giftige» Hellblau, wie ich fand von Blei, Arsen und Selen. Es gab viele grüne Flammen: ein Smaragdgrün bei den meisten anderen Kupferverbindungen, ein Gelbgrün bei Bariumverbindungen, auch bei einigen Borverbindungen - Boran, Borhydrid, war hochentflammbar und brannte mit einer ganz eigenen, unheimlichen Flamme. Und dann die roten: die karminrote Flamme der Lithiumverbindungen, das Scharlachrot des Strontiums, das gelbliche Ziegelrot des Kalziums. (Später las ich, dass auch Radium Flammen rot färbt, doch das habe ich natürlich nie gesehen. Ich stellte mir ein extrem strahlendes Rot vor, ein finales, tödliches Rot. Der Chemiker, der es zuerst gesehen hätte, so malte ich mir aus, sei kurz darauf erblindet und habe das

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