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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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habe.
    Der Hüne kauert da, als versuche er, sich in einem überfüllten Bus schmal zu machen.
UT1:  Ich hab nicht ein einziges Muttermal, Dicker. Jeder andere, den ich kenne, hat irgendwo ein Muttermal. Unterm Arm, am Arsch, am Kinn – aber ich? Nicht eins, Dicker. – Scheißegal, Dicker. Jetzt ist eh alles scheißegal.
    Und hier wirft er einen prüfenden Seitenblick in die Kamera. Er sabbert ein bißchen, und der Schnotter an seinem Querknochen zittert, und die Handvoll Mückenstiche auf seinen Wangen glühen. In seinen starren schwarzen Augen glimmt etwas wie Dankbarkeit. Dankbarkeit für die geheime Existenz seiner finalen Psycho-Agenda: Dankbarkeit für den ungebrochenen Diensteifer Dagmars. Ihre Hingabe und Ausdauer scheinen ihm die letzte gutartige Genugtuung zu bereiten, die er sich auf dieser Welt noch erhoffen darf; eine alttestamentarisch starke, moralisch reine Genugtuung.
    Ein Blick, der dem Mann mit dem Bart nicht entgeht. (Das wiederum erkennt man, sobald man beim soundsovielten Schauen des Clips erstmals mit dem Aufmerksamkeitsfokus auf ihn, den Mann mit dem Bart, wechselt.)
UT1:  Alles scheißegal, Dicker. Jetzt ist Schluß. Das war’s.

UT2:  Warum. Was meinst du. Moment. Bis jetzt hast du noch nicht allzu viel schlimme … Du kannst immer noch –

UT1:  Kuck mich an, Dicker. Glaubst du, ich würd so noch allzu gern weiter in der Weltgeschichte rumspuken?

UT2:  Wieso. Du bist doch ein Typ . Du bist ein Gesamtkunstwerk. Bei der … medialen Aufmerksamkeit heutzutage, da kannst du –

UT1:  Im Zirkus auftreten? Als Bratpfannenbieger oder so was? Oder als Faktotum bei Good Morning, Germany? Du Pansen, Dicker. Ich bin doch keine Votze. Nee, nee. Mein Werk ist getan. Und jetzt Auge um Auge, Zahn um Zahn, und fertig.

UT2:  Zahn um Zahn, na gut. Aber deine Augen hast du ja noch.
    Was um Himmels willen redet der da, der Mann mit dem Bart?
    Prinzip Scheherazade.
UT1:  Noch, Dicker. Noch. Aber mindestens eins, zum Beispiel, schulde ich Mutter Bertha.

UT2:  Und Zähne wachsen ja wieder nach.

UT1:  Du Pansen.

UT2:  Wieso … Nägel und Haare wachsen doch auch wieder nach.

UT1:  Was?

UT2:   Nägel und Haare wachsen doch auch wieder nach.

UT1:  Jaja. Und Ohren. Ohren wachsen ja auch wieder nach.

UT2:  Was?

UT1:  OHREN! WACHSEN JA AUCH WIEDER NACH!

UT2:  Kann man sich heutzutage alles nachmachen lassen. Kein Problem. Brüste, Ohren, alles kein Problem. Nee im Ernst und, vor allem, was ist mit dem Sch… Sch…
    Er kommt nicht drauf.
UT1:  Shaolin?
UT2:  Ja! Was ist mit deinem großen Traum?
    Und das R, es überrollt die Tränendrüsen. Und so verrät der beste Freund, den der Hüne je hatte, den Hünen ein drittes Mal.
UT1:  Dicker, ich mag ja ein Hemppler sein (psych. Krankheit; d. Webmaster). Aber ich bin kein Idiot. Ich reiß – Dicker, ich reiß dir die Eier raus, und dann spiele ich da Tischtennis mit, Dicker.
    Einen Moment noch bleibt er sitzen. »Seelenruhig« (HEZ). »Eiskalt« (Hamburger Abendpost).
    Dann, mit diesem typischen, chi-geladenen Kampfsport-Aplomb, springt er auf … doch hüpft dabei der Aal auf den Tisch. Der Hüne registriert es – und grätscht in seinen eigenen cholerischen Anfall, indem er kurz und glucksend auflacht. Schüttelt den Kopf, und sagt:
UT1:  Was mache ich hier eigentlich.
    Und wieder durchquert seinen Körper eine Abfolge von Schauern – wie beim Scannen seiner Tätowierungen, wie kurz vor der Schlachtung Bellas. Auch diesmal ändert sich sein Verhalten nicht unbedingt gleich zum aggressiveren, doch stärker besorgniserregend allein aufgrund einer weiteren Stufe der Offensive. Er hat einen neuen Entschluß gefaßt. Er steuert auf ein Ergebnis zu. Ein Endergebnis.
    Dagmar hat Mühe, ihm zu folgen, als er seinen Platz verläßt.
    Man sieht, wie er im Mittelgang auf einer Lache ausrutscht – auf dem Blut aus Bellas Schädel, aber auch auf seinem eigenen Blut, das von seinem Hintern und seiner Lippe getropft ist (ein paar Fliegen schwirren auf) –, fängt sich jedoch mit all der tief internalisierten Routine von zehn Jahren Budo sofort wieder. Wie ein autoritärer Klassenlehrer beginnt er, Schritt für Schritt vorwärtsschreitend, laut die Anwesenden durchzuzählen, beginnt beim Linksaußen der Schlumper Shantyboys, jenes Wäldchens aus dicken weiß-blauen Mannsbäumen, die von den Wipfeln bis zu den Wurzeln von tropischem Schweißregen gebeutelt sind …
UT1:  … fünfzehn, sechzehn …
    Nummer

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