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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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er nicht mehr richtig zu, was der bärtige Mann da weiterhin von sich gibt. Krault vielmehr geistesabwesend mit langem Arm den Kopf des weißen Schäferhundes Bella. Woraufhin der umkippt und der Hüne Mühe und Geschick darauf verwendet, ihn wieder in seine schräge, doch halbwegs stabile Position als Tischtotem zu versetzen. Dann – mittenhinein in das bald einlullende, bald enervierende Geplapper des bärtigen Mannes – sagt er plötzlich, mit geradezu pädagogisch souveräner Ruhe:
UT1:  Wenn’s um Kohle ging, Dicker … Wenn’s nur um Kohle ging … Was hast du von Queckenborn gekriegt? Vier, fünf Riesen? Zehn? Wenn’s dringend um Kohle ging – warum hast du nicht einfach mich gefragt?

UT2:  Was?

UT1:  MANN, SPERR DOCH MAL DIE OHREN AUF! WARUM DU NICHT MICH GEFRAGT HAST!

UT2:  Daran hab ich überhaupt nicht gedacht.
    Was übrigens die reine Wahrheit war.
    Seine Antwort ist wie aus der Pistole geschossen gekommen. Als Reflex des Instinkts, keine Redepausen aufkommen zu lassen. Und vermutlich in der Hoffnung, ihm fiele noch mehr Zeugs ein, hat der Mann mit dem Bart einfach weitergequasselt. Daran hat er echt nicht gedacht. Stimmt, Mensch, er hätte ja ihn fragen können … komisch. Daran hat er überhaupt nicht gedacht, nech. Daran … hat er … überhaupt nicht gedacht, nech. Da hat er … da hat er echt nicht dran gedacht. Den Schupfmodus aufrechterhalten, so lang es geht. Ohne Ball aber ist schlecht schupfen.
    Der Hüne macht Pause.
    Vielleicht will er dem schwelenden Zu spät nicht mehr Raum geben als nötig, vielleicht der fürchterlichen Vergeblichkeit allen irdischen Strebens keine größere Reverenz erweisen, als ihr zusteht, oder sonst was – jedenfalls tut er, als sei seine Frage ohnedies nur rhetorisch gemeint gewesen, und versenkt sich unvermittelt in eines der Flugblätter zum Moderlieschen-Fest. Man sieht seine Lippen sich bewegen, und schließlich reicht er seinem Gegenüber den Wisch und sagt:
UT1:  Lies mal vor, Dicker.

UT2:  Das? Feiern Sie mit uns! Hamburg feiert sein erstes Moder–

UT1:  Nicht den ganzen Quatsch da. Das neben dem Foto.

UT2:  Hier? Typisch für Moderlieschen sind die längliche Gestalt, die blau-schimmernden, sonst silbernen Flanken, die großen Au –

UT1:  Hä? Nee, Mensch. Da . Das da, unter der Überschrift.

UT2:  Warum das Moderlieschen Moderlieschen heißt. Der Name kommt keineswegs, wie man annehmen könnte, von dem Verb vermodern oder dem Substantiv Modder. Da seine Laichbänder den Beinen von Wasservögeln anhaften können und so auch in andere Gewässer verbreitet werden, leitet sich der Name Moderlieschen vielmehr von »mutterlos« ab. – Das?

UT1:  Was? Leitet sich von was ab?

UT2:  Mutterlos. Mutterlos. Also, keine Mutter.
    Da der Hüne dem Betrachter die linke Flanke zuwendet, kann man zwar, wenngleich mit Mühe, erkennen, wie er nahezu unwillkürlich beginnt, mit der Daumenkralle seiner rechten Pranke sanft seine rechte Brustwarze zu flagellieren. Wenn sich hier ein höherer Regisseur offenbart, dann einer, dem sein sublimes Gewissen schlägt: Denn aus dieser Perspektive nicht zu erkennen ist, daß es sich dabei um die Brustwarze der venezianischen Kokotte handelt. Um »Mamas« Brustwarze.
    Wer das seit Clip 3 vergessen (oder diesen gar nicht gesehen) hat, dem bleibt erspart, mit der Nase auf die eh seit Jahrzehnten klischierte Parodie eines freudianischen Klischees gestoßen zu werden. Zumal der Hüne darüber hinaus dreist versucht, seine rechte Brust mit dem Kinn zu liebkosen – vergeblich, natürlich. Ja, er entblödet sich nicht, reflexhaft seinen Flunsch zu spitzen, als heische er zu nuckeln. Diese Bestie. (Ich habe diesen oralen Reflex vor Jahren einmal mit anthropologischer Bestürzung bei dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Landesvater Björn Engholm ausgemacht, im Fernsehen. Hier verdankte er sich jedoch wohl eher dessen akuten Begierde nach dem Biß der Tabakspfeife. Wobei … aber genug der Klischees.)
UT1:  Sie war ihre Schwester , Mensch. Tante Ria. Jeden Morgen vor der Schule hat die mir den Pimmel gelutscht, Dicker. Dem einzigen Sohn ihrer einzigen, toten Schwester. Tante Ria, Tante Ria, nenn mich Tante Votze! hat sie gesagt. Und wenn die Schule aus war, hat sie mich verprügelt, bis ich nicht mehr wußte, wie ich heiße, Dicker. Tat irgendwann nicht mehr weh, das nicht. Die Dresche tat irgendwann nicht mehr weh, aber sie hat mir nie gesagt, wofür ich sie eigentlich bezogen

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