Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
genuuuuuug …!
Seit dieser Zeile strahlt der Hüne. Den Mund weit geöffnet vor säuglingshaftem Entzücken – auch der Hahnenkopf im Adamsapfel gluckst sichtlich –, wandert er, Dagmars Fokus zugewandt, auf und ab und dirigiert, wiewohl den Chor im Rücken, mit dem Yoroi-dōshi. (Auch diese Sequenz kursiert als Hit im Internet.)
Doch selbst der schönste Tag geht einmal zu Ende (ja: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei), und nach all dem Hohohoho! und Hahahaha! bemerkt der Hüne unweigerlich, daß sich aber auch rein gar nichts an der Gesamtlage geändert hat. Und verfinstert sich seine Miene, als er den unerledigten Fall Baskenmütze nach wie vor dort eminent sitzen sieht.
Winkt, in Richtung Schlumper Shantyboys, ab. Kehrt, mit einem hundertachtundzwanzig Kilo schweren Seufzen, an seinen Platz zurück. Setzt sich dem Mann mit dem Bart wieder gegenüber. Selbsttätig beginnt sein Fußballen zu wippen.
Das ist der Moment, in dem er – infolge der Ohramputation als einer der letzten – Helikoptergeräusche gewahrt. Entfernt, und eine halbe Minute lang unverändert.
Der Hüne schnaubt, und plötzlich gewahrt er darüber hinaus offenbar, wie weit ihm bereits alles über den Kopf gewachsen ist. Er kann ein Greinen nicht halten – ein Greinen wie von einem läufigen Kater, der durch den nächtlichen Hinterhof spukt –, und er dreht den Torso rücklings in die Kamera, holt mit dem Kopf so weit aus, daß die Nackenzielscheibe verschwindet und die Schädeloberfläche zu sehen ist – die beiden Hirnhälften, darüber, aufrecht, der Nasenzapfen mit Querknochen –, und keilt mit einem einzigen fürchterlichen Stirnhieb ins Sicherheitsglas der Fensterscheibe. (Die birst, jedoch nicht zerbirst.)
Vielkehliger Aufschrei. Viehisches Angstgeheul, auslaufendes Wimmern.
UT1: HALTET DIE FRESSE! SCHNAUZE HALTEN!
Ohne sich aus seiner Ecke nach den übrigen Passagieren umzudrehen, mit gesenkter Stirn, schreit es der Hüne heraus. Von seiner Stirn trieft Blut auf die Tischfläche. Ins Walnußmuster seiner Schläfe geprägt ein dicker, blauer Aderblitz.
Schlagartig wird es ruhiger.
Unfaßbar gleichmütig bleibt Dagmar mit der Kamera auf ihr Objekt fokussiert. Längst scheint es so, als sei sie von den Vorgängen, die sie filmt, nur mehr vollkommen unberührt – ja, von nichts mehr je berührbar.
UT1: So, Dicker, jetzt ist Schluß. Schluß jetzt, Dicker.
Der Hüne atmet schwer. Er atmet so schwer, daß es pfeift, und dann dreht er das Gesicht weiter zur Kamera. Aus einer Platzwunde an der Stirn blutet es. (Die ist gar nicht mal allzu tief, aber offenbar hatte er die Tatsache vergessen, daß er gehörnt ist, und gehörnmäßig ist da irgend was schiefgegangen bei der Kopfstoßaktion – eine der Implantationen scheint verrutscht, wobei die Haut gerissen ist.) Ein Rinnsal läuft in einen seiner schwarzen Augenringe und dann unter der linken Knochenflanke hindurch übers Kinn und tropft herab auf die Brust.
Der Hüne hebt den Dolch, und während er die Kamera sucht – mit diesem intensiven Blick in die Kamera starrt wie in einen Rasierspiegel –, führt er die Schneide, legato wie einen Geigenbogen, schräg nach oben, von sieben nach ein Uhr, über das eindrucksvolle Relief des linken vorderen Deltamuskels (der fiktiv ja bereits enthäutet worden ist). Schnitzt kursiv ein Ausrufezeichen hinein, das purpurrot und dreidimensional aus der zerteilten Haut hervorquillt. Mit einem sexuellen Röhren, das – angesichts der Spannung im rectus abdominis – der Hexenvisage von Tante Votze zu entfahren scheint, genießt der Hüne das quellflache Sprudeln seines Blutes.
UT1: So flennen wir Aale, Dicker. Pussys flennen Pisse, Aale flennen Blut. Aal oder Zähre, Schande oder Ehre, Galeere oder Gangsta, du hast die Wahl …
Puffys flenn’n Piffe. Fande. Gängfta.
Im Passagiersaal wird es nach und nach totenstill, während sich der Hüne – mal Schneide, mal Spitze nutzend – unsystematisch, aber fortlaufend ritzt.
Um besser hantieren zu können, erhebt er sich von seinem Stuhl.
Durch Epidermis und Dermis bis in die Subcutis an Unter- und Oberarm zieht er lineallange und streichholzkurze Schlitze. Aufgrund der flächenweise fleischlichen Anmutung der Hautzeichnung wirkt es ganz organisch, wenn sie auflappt und es augenblicklich zu triefen beginnt, farbkräftig wie Wein, doch nicht so naß; zäher, weiblicher .
UT2: Du … Du machst doch das ganze teure … Kunstwerk kaputt …
Meldet sich,
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