Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
violetten Miedern.
Einer von ihnen, eine Art Zeremonienmeister, unterzieht die Skulptur einer theatralischen, beschwörenden Magiergebärde. Daraufhin wird sie für ein paar Sekunden von einer Wolke eingehüllt, einer düsteren, brodelnden Wolke aus Hunderten von schwarzen Schmetterlingen. Ein kultisches Ach geht durch die Gemeinde. Nach und nach landen die durch jene Geste aufgescheuchten Falter wieder auf der Plastik, werden scheinbar von ihr aufgesogen. Wie Flocken verbrannten Papiers tanzen am Rand vereinzelt noch ein paar, während das Raunen der Bewunderer in einen gesprochenen Choral übergeht:
Schwarzer Engel, führe mich
Führe mich, verführe mich
Mit dem samt’nen schwarzen Vlies
Schwarzer Engel, führe mich
Führe mich, entführe mich
In das finst’re Paradies
Taxonomische Fragen wie die, ob der Schwarze Engel, wie ihn der Volksmund getauft hatte, tatsächlich zu den Tagfaltern gehörte oder nicht doch eher zu den tagaktiven Nachtfaltern, zählten noch zu den läppischsten, über die sich die Lepidopterologen stritten, seitdem sich die ersten dieser rätselhaften Schmetterlinge entpuppt hatten. Es handelte sich um ein durchaus imposantes Insekt. Ein Flügel war etwa so groß wie ein menschliches Ohr. Obwohl hauchdünn, mutete er aus den meisten Blickwinkeln tintenschwarz an, bei bestimmtem Lichteinfall aber auch mal schleierhaft, mal samtmatt changierend. Zusammengefaltet wirkte das Tier zweidimensional, und wenn es so irgendwo hockte, stellte es nur mehr einen Haarriß im Untergrund dar.
In frisch verendetem Zustand allerdings, für ein, zwei Stunden, offenbarte es silbern schimmernde Damaszierungen von solcher Vollkommenheit, daß es sich als »goth moth« endgültig aufdrängte. Als Wappen der Gruftis. Als Symbol ihrer Liebe zur Schönheit der Vergänglichkeit.
Während sich im Hintergrund also das Spektakel der schwarzleuchtenden Edelfalter im altgoldenen Gegenlicht der tiefstehenden Sonne abspielt – wie mit Füllhörnern schenkt der Tag seinen Sterbensschmelz hin –, steht im Vordergrund ein Gruftipärchen. Man sieht förmlich, wie das Männchen um die Hitzebeständigkeit seiner Leichenbittermiene bangt: die Blässe des Teints, die aschfarbenen Tränensäcke, das Blau der Lippen … Und wird die Krähennestfrisur ölen? Und der Rosenkranz, der sich vom Ohr- zum Nasenring schwingt und zurück – wird er den Schatten unterm Wangenknochen verwischen?
Das entsprechende Weibchen vollführt derweil, indes es irgendeinen okkulten Blödsinn von sich gibt, Gesten mit seinem viktorianischen Handschuh und tüllbesetzten Fächer. Graziöse Gesten. Weniger anmutig dürften sie gerochen haben – jede Wette, daß die Accessoires aus einem Onlineshop für Gothicbedarf stammten und die durchbrochene Spitze zu hundert Prozent aus Polyester war.
Das Weibchen heißt laut Insert Desdemona (jede Wette: eigentlich Antje oder Jasmin Rosa Annabella o. ä.) und das Männchen Baal (bzw. Felix-Dominik o. ä.), und im Februar des darauffolgenden Jahres begegneten mir die beiden wieder – diesmal in einer Folge der ZDF – Serie 37° . Dort schilderten sie, daß sie am 13. August des vorhergehenden Jahres Zeugen geworden waren, wie der Satan auf einer Enduro durch das Ferdinandstor gebrettert kam – auf dem Weg, die berühmte Saselbek zu entern. Sie erzählten, daß sie die »Performance« des sog. Irren vom Kiez zutiefst bewunderten und sehr gern selbst an Bord gewesen wären.
Kurz darauf begann die bizarre Internetkarriere von Dagmars Video als geschnittene, mit Untertiteln versehene Tetralogie. (Dagmars jüngster Sohn hatte es ins Internet gestellt, und obwohl es bereits zwei Tage später wieder entfernt worden war, tauchten größere und kleinere Teile davon seither immer wieder dort auf.)
Die Entscheidung der Innenbehörde, das Krankenhaus geheimzuhalten, in welchem der staatenlose Komapatient Tibor Tetropov aus komplizierten juristischen Gründen am Leben erhalten werden muß, bis er eines natürlichen Todes stirbt – oder aber erwacht –, mag übertrieben sein. Doch der Beihilfe zur Erzeugung eines Wallfahrtsorts des Teufels wollte sie sich keinesfalls schuldig machen. (Andererseits: Hätte nicht ein Warnschild ausgereicht?
SATANISMUSGEFAHR!
Deubel in da house
Bezirksamt Hmbg.-Eppendorf
[Ist Hmbg . eigentlich die Abk. f. »Humbug«?])
Ungefähr um die Zeit war es, daß Onno sich erstmals wieder zum Tischtennis traute.
Von einer ganzen Reihe zusätzlicher posttraumatischer
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