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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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gerade deshalb – versucht er, die Situation zu seinen Gunsten zu wenden. Nie aufgeben! Nie! Stürzt sich folglich auf Dagmar und entreißt ihr die Kamera, in der Tibor Tetropovs Lebenswerk enthalten ist. In der Absicht, damit auf die Heckveranda zu flüchten und zu drohen, sie über Bord zu werfen. In der Hoffnung, noch genau so lange zu leben, die Drohung noch genau so lang aufrechterhalten zu können, bis Händchen sich den Polizeikräften ergäbe: um den einzig erarbeiteten Sinn seines Lebens zu erhalten. Sein Vermächtnis: Dermatographie und Dokumentation seiner Tat, seines Werks, das Zeugnis seiner Seele, die sein einziger und bester Freund verraten, in den Dreck gezogen und zerstört hat.
    Leider hatte Dagmar ihren eigenen Überlebensplan. Und leistete Widerstand. Und das war zuviel für Onno. Angst, Angstbekämpfung, geistige und psychische Anstrengung von solchen Ausmaßen fressen Glukose en gros; komplett unterzuckert, dehydriert, vom Schock der vergifteten Hand gezeichnet, von Gestank und dicker Luft restlos entkräftet, war Onno von Dagmars Gegenwehr überfordert und kollabierte.
    Vielleicht hatte der Hüne Onnos Absicht noch erraten – so daß er mitsamt den Schuppen von seinen Augen ins Koma fiel. Nicht nur aufgrund von Blutverlust, Streß, Schlaflosigkeit, Drogen etc. also, sondern auch, weil Onno seine Integrität als menschliches Wesen zum x-ten Mal zu verraten drohte. Vielleicht. Ganz gewiß aber ist – und zwar weil medizinisch einwandfrei nachgewiesen –, daß er schwer an einer Infektion mit jenem afrikanischen Virus litt, das Mücken in jenem Sommer geradezu epidemisch verbreiteten.
    Ungeachtet der ungeklärten Frage, weshalb ein Versuch der Kontaktaufnahme mit dem Geiselnehmer per Funk ins Ruderhaus unterblieb (was eigentlich zum Repertoire gehört), wurde das Vorgehen der polizeilichen Einsatzkräfte im allgemeinen gelobt. Zumal die Mord- und Totschlagstatistik nicht belastet zu werden brauchte.
    Der berühmte japanische Tätowierungskünstler »###« blieb, nach wie vor, das Phantom, das er stets gewesen war. Auch der Ort, an dem er Tetropov elf Wochen lang bearbeitet hatte, wurde nicht entdeckt. Obwohl er von der Innenstadt nicht weiter als eine halbe Autostunde (resp. Lamborghini-Stunde) entfernt sein kann. Die neunzehnjährige Minka – hörigste der Minskerinnen aus Händchens Beritt – schwieg beharrlich. Oder wußte es tatsächlich nicht. Sie behauptete zwar, ihm in regelmäßigen Abständen Schädel, Gesicht, Achselhöhlen, Unterarme, Brust, Schamteile und Beine rasiert zu haben. Aber das habe in ihrer eigenen Wohnung stattgefunden.
    Viel diskutiert wurde über den Spontansprung des Hünen in die Alster. War eigentlich ein Denkfehler. Nun ja, kein Wunder bei dem Gepansche von körpereigenen und synthetischen Substanzen, die in den Venen des Hünen kochten. Und das bei der tropischen Hitze. Und all der anhaltenden Hektik. Bei all der Anstrengung, die es kostete, seine euphorische Tobsucht zu zügeln – entfesselt nach all den entbehrungsreichen Wochen und Monaten. Der Gerichtsgutachter nahm ferner an, der Hüne habe rechtzeitig erspäht, daß er vom Heck der Saselbek aus gefilmt wurde, und sei, angesichts seiner übergeordneten Psycho-Agenda, davon magisch angezogen worden.
    Wie auch immer, rein verfolgungslogisch hätte er erst einen Blick auf die Terrasse des Café Lorbaß werfen müssen. Wer da so saß. Ob nicht vielleicht vorm Wiederablegen der Saselbek jemand ausgestiegen war. (Daß Onno nicht unterwegs über Bord gesprungen war, dessen konnte er sich ja relativ sicher sein.)
    Die These von jener übergeordneten Psycho-Agenda wird übrigens untermauert durch die von allen Zeugen bestätigte Tatsache, daß der Hüne sich direkt nach der Kaperung die Zeit und die Nerven zum Posieren genommen hatte. Niemand hatte an ihm den etwaigen Drang bemerkt, als allererstes einen Blick durch die offene Tür in den Fahrgastraum zu werfen, um die Lage zu prüfen. Als sei er sich des weiteren Verlaufs völlig sicher gewesen. Vielleicht hatte er seine Aufgabe gar noch ein wenig aufschieben wollen. Es war ja nicht angenehm, was er zu erledigen hatte – es ähnelte vielmehr einer schmerzlichen Pflicht. Offensichtlich begrüßte er es sogar, daß sich seine verborgene Psycho-Agenda in den Vordergrund schob.
    In einschlägigen Internetforen und – portalen wird die Meinung des Hünen eins zu eins übernommen, daß der Mann mit dem Bart ein Verräter sei. Der Hüne hingegen wird als Held

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