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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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seinen Hockerstelzen. Dabei war die Bar, wie gesagt, noch recht schwach besucht.
    In eine scharlachrote, plüschige Sphäre der vorletzten Jahrhundertwende gesetzt – aufwendig restauriert, samt zwei, drei Objekten Kitschkunst à la Jeff Koons –, wirkte die hochmoderne, indirekt beleuchtete Theke wie die Brücke eines Raumschiffs. Insgesamt sechs Passagiere; die vier entlang der Längsseite allesamt Touristen, erkennbar am gleichgerichteten Blick auf das Grüppchen flitterbunter, sexstrotzender Zwitter aus Südostasien und Lateinamerika. In einer Ecke neben der lotterleeren Bühne mit zwei chromglänzenden Poledance-Stangen vergnügte es sich anhand einer Karaoke-Anlage. Der Gesang des langbeinigen Ladyboys im Stretchmini war ohne Reisschnaps weder machbar noch eigentlich auszuhalten, und der Monitor zeigte ein Video in so süßlichen Farben, daß ein Herbsttyp wie unseresgleichen auf Dauer insulinpflichtig würde.
    »Mann!« raunte Loy, während er seine Hand aus Onnos Gesichtskreis wieder entfernte. »Paß auf, was du sagst!« Vor Anstrengung, die eigene Lautstärke zu justieren, schwollen seine Gallertaugen. »›Hemdchen‹«, brummte er kopfschüttelnd, während er mit Galgengrinsen und bibbernder Wangenhaut umherblickte. Nunmehr zwar ohne Spähimpuls, doch vorsichtshalber blind nach einer Pall Mall fingernd. »Hast nicht das von Pimmel-Paule gelesen, in der Abendpost? Pimmel-Paule hat Händchens Spitznamen angeblich zu ›Hänschen‹ verballhornt. Seitdem hat Pimmel-Paule sozagen nur noch ein Vergnügen im Leben: seine Windeln vollpieseln. Wird seit drei Monaten im Hafenkrankenhaus aufbewahrt, der Mann. Und schon der war einer, Alter, der so was wie uns zagen zum Latte schnupft. Zu schweigen von Händchen. Hännnd-chen. Verniedlichungsform von Hand, Mensch.«
    Rauschend vor goldenem Satin materialisierte sich der Wirt. »Mutter Berta«, fistelte er und gab Albert High Five. Im regelmäßig kreuzenden Streuschein der Paillettenlampe wimmelte seine Perücke. »Ein Pils, ein’ Scotch?« Sein Kinn barg ein Kinn, das ein Kinn barg, das ein Kinn barg. Das ein oder andere nicht gerade perfekt rasiert.
    »Ohne Eis«, bestätigte Loy.
    »Du wilder Mann! Und Sie, mein Engel?«
    Sie! Sie! Einen Viets siezte man nicht so ohne weiteres, nicht in einer Bar auf St. Pauli. Ein Viets war schwer siezbar.
    »Ich? Wasser«, sagte Onno – obwohl er nach dem Bodycheck weißgott einen dreifachen Egalwas gebrauchen konnte. Polizeilich konnte man sich aber keinen leisten, und ein einfacher brachte einfach nichts. Außer Verbindlichkeiten.
    »Wasser«, fistelte der Wirt durch die Maybelline-Jade-Membrane. Moisture Extreme in Lush Papaya o.   ä. »Mit oder ohne.«
    »Mit; mit«, sagte Onno. Mit Gas, ohne Gas. Mit Eis, ohne Eis. Mit Senf, ohne Senf. Ist doch ewig scheißegal. Also immer vorsichtshalber mit.
    »Mit Seife und Handtuch.« Befriedigt verschwand Roswitha der Wirt.
    »Öff, öff.« Onno wandte sich an Loy. »Und bevor du mir erzählst, was du die letzten zwanzig Jahre gemacht hast, erzähl mal, was da eigentlich eben los war, in der Ritze . Eins nach’m andern, nech.«
    Der Hüne – eben jener mit Spitznamen ›Händchen‹ – hatte die Kneipe schon sichtlich mürrisch betreten. Als Streetworker kannte Loy diesen seinen Pappenheimer seit langem, einst sogar sehr gut, und hätte am liebsten sofort die Kurve gekratzt. Es verband sie seit jener Zeit eine platonische, leidenschaftliche Haßliebe. Doch saß er in der Falle. Händchen hatte sich direkt an jenem Engpaß aufgebaut, den der Treppenschacht zu Toiletten und Boxkeller verursacht. Händchens Mißmut nahm zu, als Altpieselbach zum Aufbruch lärmte, und nachdem »diese absurde zagen Mieze mit dem Schleier« aufgetaucht war und partout nicht aufhörte, ihm am Ärmel rumzufummeln, warf Händchen seinen Drink ins verspiegelte Regal hinterm Tresen. Und verabreichte dem nächstbesten Gast eine lockere, unverzinkte Maulschelle. Ab.
    Was hat der Typ denn verbrochen? Zu lang die Mieze angekuckt, oder was?
    »Neehehe«, meckerte Loy herzhaft. »Dann wär’ sicher sozagen nicht nur zagen sein Kiefer entzwo. Nee. Der wollte grad aufs Klo und stand einfach nur im Weg. So wie du da draußen vor der Tür, zagen.«
    »Kiefer entzwo«, plapperte Onno.
    »Na ja. Mindestens das. Einen Zahn, der lose ist, hab ich mindestens gesehn. Das Jochbein geprellt, mindestens. Wenn nicht angebrochen. Mordsveilchen dürfte ihm außerdem blühn. Und wenn der nicht ’ne mittelschwere

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