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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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Gehirnerschütterung hat und spätestens morgen früh auf dem Ohr ’nen Tinnitus wie ’n zagen Didgeridoo, lutsch’ ich ’ne Pille Lutschi-Bionade. Auf ex.«
    »Moment. Litschi. Pulle. Pulle Litschi-Bionade. So muß es heißen.«
    »Pille Lllutschi«, bestätigte Loy. »Meine Fresse. Prima.«
    »Wir wollenalle«, intonierte Onno blindlings, »primaleben und spaaaren…«
    Einst hatten er und Albert dies als Sinn des Daseins isoliert: prima leben und sparen. Ende der Achtziger, als sie Kommilitonen waren. Hamburger Institut für Soziologie. Während irgendeiner ihrer legendären Arbeitsgruppensitzungen des Seminars ›Kapitalistische Nervosität‹ o.   s.   ä. De facto handelte es sich um die Eins-zu-eins-Adaption eines Reklamesingsangs, i.   e. die Auflösung jenes Akronyms, auf das die Supermarktkette PLUS getauft war. Prima Leben Und Sparen. »Wahrlich«, hatte Albert eingestimmt, »nichts anderes wollen wir: prima leben und sparen. Sparen, daß die zagen Schwarte kracht. Sparen, bis der zagen Arzt kommt.«
    Im Sommersemester ’86 hatte Onno das Studium der Sozialpädagogik abgebrochen und im Wintersemester ’86   /   ’87 ein Soziologiestudium begonnen, um dieses im Wintersemester ’90   /   ’91 abzubrechen. Albert Loy war mehr oder weniger der einzige Kommilitone, für den Onno nicht Ratlosigkeit empfunden hatte oder gar Antipathie (letztere allerdings in der onnoiden Ausprägung, die max. eine Art tranige Nachsicht war). Lag sicher nicht nur am geringeren Altersgefälle.
    Damals wohnten Onno und Edda noch getrennt, und in seiner Bude am Walbein 111 in der Neustadt hatten Onnos und Alberts Gruppentreffen stattgefunden. Wobei ihre höchsteigene kapitalistische Nervosität in Kniechen-Näschen-Öhrchen-Exerzitien (vgl. Stan Laurel in »Fra Diavolo«) mündete, in nächtlicher Fassadenkletterei via angelegentlichem Baugerüst mit spontanen »zagen Bumstips« (Loy) für die zu Tode erschrockenen Nachbarn, in philatelistischen Debatten (Onno: »Ich besitze eine Goldene Delicious. Ungestempelt.«), kurzum: in akkuraten Besäufnissen (Loy: »Pilsesammeln«). Bei denen Onno eine Weile Strichlisten führte, wie oft Loy ›sozusagen‹ sagte. (Bzw. ›sozagen‹; bzw. meist gar ›zagen‹.)
    Im Gegensatz zu Onno hatte Loy sein Studium abgeschlossen, und zwar mit Sehr gut. Als Erbneffe eines internationalen Pokerprofis, der eines Tages mit einem Lenkdrachen in den Alpen abgestürzt, war er auf Einkünfte nicht angewiesen. Nach dem Examen vor die Wahl gestellt, entschied er sich für die Praxis. Und versoff seine allerletzten Illusionen als Streetworker in neun Jahren St. Pauli.
    »Wohlgemerkt: un verzinkte Maulschelle, mit der offenen Hand«, sagte Loy. »Nix weiter als eine Backpfeife, aber die kommt so weit auf der Außenbahn, die siehst du gar nicht kommen, und –«
    »Unverzinkt?«
    »Sag’ ich doch. Backpfeife. Verzinkte Maulschelle wäre mit Schlagring. Jedenfalls, wo Händchen hinlangt, ist die halbe Visage zagen hin. Und wer übernimmt mal wieder die Erstversorgung? Kuck dir das an, Onno Viets.« Der lange, dünne Mann zeigte Onno die Kante seiner schmalen, langen Hand, an der noch Blut klebte. Hatte er beim Waschen wohl übersehn.
    Onno fragte: »Und du kennst ihn? Es? Hännnnd-chen?«
    Loy beugte sich zu Onno und raunte wieder. »Seit es dreizehn war. Als es dreizehn war, hat es seinen Nihilin-Dealer mit achtundfünfzig Messerstichen in den vorzeitigen Ruhestand geschickt.«
    »Was?« Herrje. ( Fack .)
    »Die ganze Entwicklung zagen typisch, einerseits; andererseits aber auch besonders.« Seine Mutter, die Tochter einer Koreanerin und eines Geschäftsmannes aus Ungarn, ist in Deutschland geboren. Callgirl gewesen. Kokainabhängig. Bei Autounfall irgendwo in Hessen ums Leben gekommen, als Tibor drei war.
    Herrje. ( Fack .) Tibor heißt er? So sieht er irgendwie auch aus.
    »Tibor Tetropov.« Staatenlos. Vater unbekannt. Stammt angeblich aus dem tiefsten Osten. Tschetschene? Kalmücke? Mongole? Nach dem Unfall kommt Tibor von Frankfurt-Bornheim nach Hamburg-Aalkoog. Zum Halbbruder seiner Mutter, Onkel Bogdan. Wächst bei ihm und dessen Frau auf. Als Tibor sieben ist, begeht sein Onkel Selbstmord. Tibors Stieftante ist Alkoholikerin und tablettensüchtig. Schlägt ihn. Mißbraucht ihn sexuell. Tibor haut ab. Lebt auf der Straße, wahrscheinlich u.   a. als Gelegenheitsstricher für Päderasten. »Bei seinen Untersuchungen nach der Messertat hat man übrigens ein Doppel-Y-Syndrom bei ihm

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