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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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vermutete, von der Bank wieder aufgesprungen war und einen Schritt nach vorn machte. Dagmar reagierte darauf ebensowenig, wie sie auf den Auftritt des Käpt’ns reagiert hatte. Deshalb bekommt man in der Totalen nur zu sehen, wie der Hüne reagiert. Die fünf Krallen vermutlich nach wie vor auf der Hemdbrust des zwei Köpfe kleineren Käpt’ns, dreht er sich nach Ellens Stimme um und nuschelt durch den Flunsch der Zahnlosigkeit ruhig etwas, das in etwa klingt wie Roin oä räouf.
UT: Rein oder raus?
    Zwei, drei Sekunden. Dann geht ein Vorwärtsruck durch seine ramponierte Knochenvisage – mit übertrieben aufgerissenen Augen nachfragende Fratze: na, was nun? –, und die Szenerie beginnt wild zu wackeln. Ellen zufolge hatte der Hüne den Dolch von der Rechten in die Linke gewechselt, Dagmar mit rechts über die Türschwelle herangezogen, gewartet, bis Ellen ihnen gefolgt war, sodann die Tür zum Heckbereich sorgfältig geschlossen – deutlich zu hören das Schnappgeräusch des Schlosses während der stürzenden, verschwimmenden Bilder – und Dagmar zur Weiterarbeit aufgefordert. (Mit kaum verständlichen Worten, ohne Untertitel, meiner Meinung nach »Schön weiterkurbeln« o.   ä.)
    Nun, bei geschlossener Räumlichkeit – wegen der enervierenden Handhabung ist nur eine einzige der insgesamt zehn schmalen Klappen in den oberen Fenstersegmenten geöffnet, und zwar auf der Backbordseite –, verändert sich die Tonlage der Geräusche: Die Polizeisirenen klingen ein wenig gedämpfter. Der Lärm des spärlich fließenden Verkehrs ist ohnedies völlig verstummt (die Straße An der Alster wird gerade in beide Richtungen voll gesperrt). Zudem hat der Schwung die Saselbek bereits ein erstaunlich gehöriges zusätzliches Stück vom Anleger in Richtung Teichmitte entfernt.
    Das erste erkennbare Bild nach dem kurzen, schwindelerregenden Gefuchtel zeigt, daß Dagmar den Zoom nun etwas weitwinkliger eingestellt hatte. Stoppt man den Film auf 11:26 Uhr und 44, 45, 46 Sekunden, hat man erstmals Einblick in den breitgefensterten, sonnendurchfluteten Passagiersaal. Der Hüne berührt mit den Hörnern beinah die milchigen Plexiglasflächen im Deckenfachwerk, das auf der Längsachse von Oberlichtern gekrönt wird. Darunter treibt er den Käpt’n vor sich her. Der Mittelgang ist mit blauem, granitgemustertem Linoleum ausgelegt. Vier der fünf länglichen Tische, die sich die Steuerbordseite entlang bugwärts staffeln, sind im Bild. Im Boden verschraubt, grenzen sie mit der Schmalseite unterhalb der Fenster an das Schanzfutter in Resopaloptik. Wäre es möglich, als Filmbetrachter die Tischflächen näher zu inspizieren, erkennte man aufgedruckt jeweils einen detaillierten Plan der Alster sowie verstreut eine rauhe Anzahl von Flugblättern mit Informationen zum I. Moderlieschen-Fest. An jedem der Tische sechs lose Stühle – pro Längsseite drei – mit messingfarbenem Stahlrahmen und marineblauen Polstern, beides stellenweise bereits recht abgewetzt.
    Tisch No.   5 steht an der Trennwand zum halboffenen Heck, hinterrücks von Dagmar, im toten Winkel des Kamerafokus.
    Tisch 4 ist unbesetzt. An Tisch 3, auf den Fensterplätzen C und F: zwei jungerhaltene, gepflegte, duftende Herren mit Hawaiihemden und Ohrringen; auf den Gangplätzen A und D: zwei kalkige Touristinnen aus Cornwall im Alter Dagmars und Ellens. Tisch 2, Fensterplätze C und F: ein 45jähriger Betriebswirt und sein 12jähriger Sohn. Tisch 1, Platz A: ein kurzbehoster Rentner, dessen Teint in der Farbwiedergabequalität von Dagmars Film gebrannten Mandeln ähnelt, D und E: dito Rentnerinnen; C: das Herrchen der weißen Schäferhündin. Letztere, angeleint und mit Maulkorb, macht neben Platz B Sitz. Am Schalter des Ruderhauses steht ein karpfenmäuliger junger Mann mit Pluderhosen und verfilztem Zöpfchen am Kinn. Auf seinem T-Shirt wäre, könnte man es aus dieser Perspektive entziffern, zu lesen: Love makes the world go round .
    Die Tische 1 und 2 auf der Backbordseite waren zugunsten der Formation der inkl. Solist sechzehn Schlumper Shantyboys entriegelt und entfernt worden, die Tische 3 und 4 unbesetzt, Tisch 5 wie sein Pendant auf der Steuerbordseite nicht im Fokus der Kamera.
    Mit wachsamer Ruhe – sichtlich erzwungener Ruhe, doch unstrittig einer Form von Ruhe – schlendert Godzilla den Mittelgang hinauf. Prüft, stichprobenartig, mit verächtlicher Lässig- und Nachlässigkeit die Individuen der Passagiermenge, auch die des wie Nippes

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