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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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verharrenden Sängertrupps. Als er sich nach Tisch 5 steuerbords und Tisch 5 backbords umschaut, die nach wie vor nicht zu sehen sind, ist auf dem Film keinerlei Stockung seinerseits oder sonstige Regung zu erkennen. Er geht einfach weiter, nur wie wissend nickend.
    Noch einmal dreht er sich um, als von achtern her platschende Geräusche ertönen – die vier Piercing-Kids überlassen Werner und Frau ihrem Schicksal. Dagmar bleibt mit der Kamera stur beim Hünen, und so wird der Videobetrachter Zeuge von dessen beeindruckender Ungerührtheit ob des Geiselabgangs. (Das nähere Alarmtäterätä war inzwischen verstummt. Nachschub kam von fern.) Ungefähr auf Höhe von Tisch 3 bleibt er breitbeinig stehen, während der Schiffsführer noch einen weiteren Schritt rückwärts macht, dann aber – unberufen, einfach vorsichtshalber – ebenfalls stehenbleibt. Daß er unmittelbar neben dem Solisten der Schlumper Shantyboys verharrt, der noch einen halben Kopf kleiner ist als er, hat etwas Anrührendes. Schwer greifbar. Vielleicht der Anschein, er hoffe auf Kraft und Beistand durch die Traditionen seiner Zunft.
    Dann rief der Hüne etwas, das in etwa klang wie Allema’ee’öö’ää!
UT: Aloa he! (Was natürlich Blödsinn ist. Viel näherliegend: »Alle mal herhören!«; d. Verf.)
    Dann etwas, das in etwa begann wie: Dief if oineh Geiflnorrmeh! und von drei, vier weiteren Sätzen ergänzt wurde – in der nun hinreichenden Übersetzung des Webmasters:
UT: Dies ist eine Geiselnahme! Hab was zu erledigen. Kann eine Viertelstunde dauern, und fertig. Keinem von euch passiert etwas, keine Bange. Fast keinem.
    Er gluckst heiser, während er sich umblickt, und entdeckt dabei etwas auf einer Wandstrebe. (Im Clip schwer zu erkennen: das Ikonogramm für ein Handyverbot. – Übrigens hat, kaum zu glauben, aber wahr, während der gesamten Dauer der Geiselnahme kein einziges der Mobiltelefone an Bord geklingelt.) Er deutet mit der Dolchspitze hin und feixt in die Runde. Tippt zur Bekräftigung mit der Flanke eines Zeigefingers gegen die geschlossenen Lippen unterm Knochenschmuck.
UT: Keinem von euch passiert was, wenn ihr schön cool bleibt. Einfach Schnauze halten. Einfach Gräten still halten.
    Dann hält er vier Sekunden inne, und dann fängt er an wie folgt, läßt den Satz jedoch unvollendet:
UT: Wenn irgendeiner …
    Und bricht ab, und seinen Körper durchquert ein Schauder, bei genauem Hinsehen durchaus erkenn-, doch ad hoc nicht leicht definierbar. (Der Gerichtsgutachter vermutete später, daß er – und sei’s halbbewußt –, aus purer Erfahrung, aus einer Art biographisch beglaubigter Paranoia gewissermaßen, etwaigen Widerstand imaginierte.) Jedenfalls ändert sich ab demselben Moment sein Verhalten, wieder unübersehbar. Nicht unbedingt gleich zum aggressiveren als bisher, doch stärker besorgniserregend allein aufgrund einer offensichtlichen neuen Stufe der Offensive. Ihm ist etwas eingefallen. Er hat einen Entschluß gefaßt. Er wünscht ein rasches Zwischenergebnis o.   ä.
    Er schreitet auf den Käpt’n zu, der unwillkürlich bis an die gefensterte Zwischenwand zum Steuerhaus zurückweicht – der Mittelgang ist schmal. Der Hüne hält aber unversehens auf den Typen neben dem Käpt’n zu, den mit dem Love-makes-the-world-go-round – T-Shirt. Schreckstarr läßt der geschehen, daß sein Hals von der linken Klaue des Hünen am Holzrahmen der Wandverglasung fixiert wird (Geräusche schreckhafter Unruhe im Boot) – im Clip schwer zu erkennen, da verdeckt durch die Gestalt des Hünen. Ebenso wie die Tatsache, daß der Hüne ihm das Kinnzöpfchen absäbelt und in dessen Shortstasche stopft. Weshalb der Inhalt des Untertitels noch rätselhafter wirken dürfte als ohnedies. (Vermutlich handelt es sich um die Äußerung der Meinung, das eigenwillige kosmetische Detail ähnele der Zündschnur eines Knallkörpers.)
UT: Wächst bis Silvester wieder nach. Kann ich hier jetzt nicht gebrauchen.
    Und wendet sich sodann seinem nächsten Tagesordnungspunkt zu: dem Mann, der direkt neben dem Eingangsbereich sitzt, auf Platz 1 C. Dem Besitzer der weißen Schäferhündin.
    Unruhig geworden durch die bösen Gerüche und Schwingungen – in der Luft, in der Leine seines Herrn, aus dem Dunstkreis des ungewöhnlichen Wesens vor ihm –, springt das Tier der Rasse Berger Blanc Suisse, die Krallen klicken und ratschen übers Linoleum, von seinem Platz neben dem Stuhl 1 B auf. Beginnt durch den Maulkorb zu knurren, die spitzen

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