Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Tonspur des Clips zu hören ist zwar ein dumpfer Ton zum Abschluß, doch kann der ebensogut vom Aufstampfen eines Fußes rühren. Eines Fußes allerdings von mindestens Schuhgröße einundfünfzig.
Schnitt. Ende des zweiten, rund viereinhalbminütigen Clips.
In diesen viereinhalb Minuten hatte sich die Saselbek etliche Längen vom Anleger entfernt und trieb immer tiefer in den Syphon der Außenalster. Die Stadtgeräusche erreichten das Schiff zunehmend gedämpft. Bis auf die Polizeisirenen.
Aus dem Raum um Binnenalster, Ballindamm, Jungfernstieg durchquerte der stupide, schrille und zugleich aufreizend vage Dauerappell so mühelos Entfernungen, als wirke der dichte Uferbewuchs gar als Membrane. Nun nicht länger vereinzelt, vielmehr mit vier bis fünf der endlosen Phonogramme in permanent aufs neue mißlingendem Kanon; kaum noch mit Atempausen, sondern beinah ununterbrochen; teils bereits stationär, teils noch dynamisch oder gar mit Doppler-Effekt schallte das doof-duale, nervzerschrotende Täää täää täää täää täää täää herüber – es »machte einen zusätzlich wahnsinnig« (so Ellen später).
11:31 Uhr. Immer noch Freitag, der 13. August.
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[Rückblende II]
Hundertneun Tage vorher …
Weshalb Onno verbrannte
Tauben und andere Hühner – Hallo? –
– »ovj nom hröö sig fovj« –
Die Tischtennisregeln in Cala Llamp
[18]
Montag, den 26. April (noch vier Tage bis Ultimo Fiskus). Ungefähr Viertel vor neun. Après-Pingpong, Stammtisch Tre Tigli .
»So, Kam’raden. Achtung, Achtung. Hab ich schon gesagt? Morgen flieg ich nach Malle, nech«, sagte Onno, und die Gütigkeit seines Grinsens erklomm eine neue Intensitätsstufe.
» Gott sei bei uns«, rief der schöne Raimund. Rang die frisch gecremten Hände. »Gott sei bei uns ! Gott sei bei uns, was soll denn jetzt schon wieder das …«
Diese Woche war er derjenige, welcher. Nämlich sensationell zwo null geführt hatte gegen old Onno ›Noppe‹ Viets.
Grad hatte EP mich drei null abgeschossen – unter verschwenderischem Einsatz vredonischer Triumphschreie wie »ßaaaaaaaaaa!« und »KUUBAAAAaaaa!« –, da hatten sie ihren dritten Satz begonnen. Wir beschlossen, uns von der Bank aus anzuschauen, wie Onno das Match diesmal drehen würde.
Sehenswert, die beiden Kontrahenten. Sicher, sie waren Freunde. Unverbrüchlich. Doch weil auf das Perm der Sandkiste datiert, war ihre Freundschaft von Verwandtschaft kaum mehr zu scheiden. So prägte die Partie eine existentielle Symbolik, wie sie Kämpfe unter Brüdern oft prägt.
Hie Raimund, mit schweißschwerem T-Shirt zwar und aufgeweichter Frisur, doch schön und souverän wie eh und je. Hie Onno, unrasiert und ungelenk, auf Noppensocken, in Kasperlehöschen und porösem Leibchen, doch waffeltrocken. Frühlingsfortschrittsgemäß strömte durch die Milchglasfenster am hohen Deckenrand mehr Lux als noch vor einer Woche um diese Zeit. Dadurch blendete die Oberfläche der Tischtennisplatte, wenn man auf der bankabgewandten Seite spielen mußte. Raimund hatte dort begonnen, so daß er auch im dritten Satz wieder dort stand. »Zwo null, null null«, sagte er pflichtgemäß an. Statt konzentriert und erwartungsvoll in die Knie zu gehen, stand er aber einfach nur so da.
»Was ist«, sagte diesseits Onno, den Rücken uns zugewandt. Sein Aufschlag.
»Ich warte «, sagte Raimund. Mit nur leicht übersteuerter Note. Als sei zwar ja wohl ganz klar Onno hier der Umstandskrämer, Verzögerungstaktiker, Spacken, aber macht nix.
Einer der Winkelzüge jenes Psychospielchens, mit dem Raimund das Match flankierte. Eine jener Miniaturattitüden, die der Gegner nicht als Unsportlichkeit zu ahnden vermochte, ohne sich lächerlich zu machen. Die in der Summe zu jenem Grad von Enerviertheit beitragen sollten, der zu des Gegners entscheidendem Vorteilsverlust führen konnte.
Onno aber fehlte die tiefinnerliche Bereitschaft, Raimunds Mutwillen als solchen überhaupt erst anzuerkennen. Attitüden ordnete er den Irrelevanzen eines Matches zu. Attitüden, Ästhetik u. v. a. m. Der Sinn eines sportlichen Spiels war in seinen Augen rein binär: Sieg und Niederlage. (Wobei er’s mit dem FIDE – Weltmeister Weselin Topalov hielt: »Ich siege, weil ich keine Angst vor Niederlagen habe.«)
Im Vergleich zu Raimund mit ihm, hatte Onno mit Raimund seltener Sträuße auszufechten. Und brauchte deswegen nur ein Spiel zu gewinnen, keine Fehde. Er sah einfach zu, daß er den nächsten
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