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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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undefinierbaren Beklemmung.
    Gerade im rechten Moment tat sich sein guter Freund Erik Joensun mit einem seiner typischen brutalen Ausfälle hervor. Zwischen Kaubewegungen ausgestoßen, verschaffte sich seine wütende Stimme Gehör: »Was ist jetzt, essen wir oder essen wir nicht?«
    »Ja. Essen wir …«
    Sofort entstand Unordnung, in der jeder Gast den ihm zugewiesenen Platz suchte.
    »Und dieser Platz?« fragte der Student.
    »Er ist für Piet Van Saal, unseren lieben Freund. Ich vertraute darauf, ihn persönlich einladen zu können, denn ich sehe ihn fortwährend, doch …«
    Die Entschuldigung schlug auf Grund, bevor sie über seine Lippen kam. Verwirrt verstummte er. Zum Glück überdeckte der herrschende Tumult seine Lüge, denn die Niedrigkeit zu lügen, erfüllte ihn mit einer ungekannten Scham. Blitzschnell zog vor der neutralen Leinwand seiner beiden weit aufgerissenen Augen der ultraemotionale Verlauf dieses Tages vorbei. Er erfaßte den surrealistischen und unterbewußten Charakter dessen, was er erlebt hatte. Er blinzelte nicht einmal. Als er sich an Piet erinnerte, ließ Furcht sein Herz vor Beunruhigung wild schlagen. Er nahm an, daß dieser an seiner Freundschaft zweifeln würde, wenn er von dem Dinner erfahren würde und sich ausgeschlossen wüßte. Und diese frisch entsprungene Idee wuchs auf einmal und drängte sich in sein gegenwärtiges Erleben wie ein Leichentuch in ein Freudenfest. Er konnte nicht mehr. Verlor die Beherrschung und schlug gewaltsam, grundlos auf den Tisch.
    Die Blicke schwenkten herum. Der Kellner auch: »Señor wünschen?«
    Es war seine Rettung.
    »Ja. Rufen Sie den maître. Wie lange sollen wir noch warten?«
    Nachdem er Verärgerung vorgetäuscht hatte, folgte eine heuchlerische Andeutung von Lächeln und Zoten. Unter der Oberfläche seines Fleisches jedoch lag die Wahrheit: Ohnmacht und die Instabilität seiner allesbeherrschenden Leere.
    Durch Schweigen hätte er sich selbst denunziert, das spürte er. Es war vonnöten zu sprechen, etwas zu sagen, in einem Wort: Masken zu überlagern. Schlagfertig legte er los: »Wie komisch! Ich stelle fest, daß ich mich in der Evolution befinde. All meine alte Gesetztheit zerfällt. Gewohnt daran, die Minuten nach strengen Regeln höchst ernsthaften Verpflichtungen zuzuordnen, verbringe ich nun meine Stunden mit Lappalien. Als ich ›Timaios‹ von Platon las und erfuhr, daß die Zeit das bewegte Abbild der Ewigkeit ist, stieg ich auf sie hinauf wie auf einen rollenden Gehsteig. Und ich las, während ich ging, studierte, während ich aß, meditierte, während ich mich den Sinnenfreuden hingab. Ich wollte mich in das Ewige einpflanzen wie ein verheißungsvoller Steckling in den Stamm der Unsterblichkeit. In ihr etwas Dauerhaftes erblühen lassen. Frucht aus Licht, unvergänglicher Duft sein, nachdem mein Fleisch abgestorben sein würde. Und ihr seht selbst … Ich bin schließlich gescheitert. Die Zeit macht jetzt, was ihr gefällt, und ich halte es ebenso! Denn um die Zeit zu besiegen, muß man sich selbst besiegen. Ich bin negative Siege satt.«
    »Eine sehr schöne Philosophie, auch wenn sie Ihre Verspätung nicht rechtfertigt. Man stelle sich vor, auf niemand Geringeren als den Gastgeber zu warten!«
    »Ist ja schon gut … Hier ist der maître.«
    In der Tat, während er ihm eine Speisekarte überreichte, rezitierte er: »Señor Op Oloop, in Übereinstimmung mit Ihren Vorschlägen habe ich dieses internationale menú zubereitet:
    Malossol Kaviar in Eis
Rollmops
Piccatis de foies gras
Schildkrötensuppe
Spargel nach Montepan
Fresh ox tongue, creole
Chicken pie
Welsh rarebit
Goulash à la hongroise
Cassoulet comme à castelnaudary
Osso-bucco
Tendron de veau braisé chez-soi
    … wie Sie sehen, eine exquisite gastronomische Auswahl.«
    »Ja, aber sehr überfrachtet.«
    »Ich teile Ihre Auffassung. Jedoch wird von allem nur wenig serviert: zwölf Mundvoll … Was die desserts angeht:
    Assorted cake
Kirschkuchen
Camembert
Pumpernickel
Pineapple …«
    »Op Oloop«, unterbrach mißmutig der Student. »Sagen Sie ihm, daß er die Liste in unserer Sprache zusammenstellen soll. Ich möchte keinen Tang! Er hat gerade auf kreolischen Tang hingewiesen.«
    »Fresh ox tongue, creole: frische Ochsenzunge, nach Art der Kreolen …«
    »Verstanden?«
    »Ja, aber Sie gehen mir auf die Nerven mit so vielen seltsamen Namen.«
    »Seien Sie unbesorgt. Ich bedenke den Geschmack eines jeden: Kaviar, Hering, Schildkrötensuppe, Spargel,

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