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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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verwandten Tonarten, bis zur Urverwandtschaft der Töne überhaupt auszudehnen, indem sie so das sicher geleitete Gefühl zum unendlichen, rein menschlichen Gefühle erweitert. –
    Die Tonart einer Melodie ist das, was die in ihr enthaltenen verschiedenen Töne dem Gefühle zunächst in einem verwandtschaftlichen Bande vorführt. Die Veranlassung zur Erweiterung dieses engeren Bandes zu einem ausgedehnteren, reicheren leitet sich noch aus der dichterischen Absicht, insofern sie sich im Sprachverse bereits zu einem Gefühlsmoment verdichtet hat, und zwar nach dem Charakter des besonderen Ausdruckes einzelner Haupttöne her, die eben vom Verse aus bestimmt worden sind. Diese Haupttöne sind gewissermaßen die jugendlich erwachsenden Glieder der Familie, die sich aus der gewohnten Umgebung der Familie heraus nach umgeleiteter Selbständigkeit sehnen: diese Selbständigkeit gewinnen sie aber nicht als Egoisten, sondern durch Berührung mit einem anderen, eben außerhalb der Familie Liegenden. Die Jungfrau gelangt zu selbständigem Heraustreten aus der Familie nur durch die Liebe des Jünglings, der als der Sprößling einer anderen Familie die Jungfrau zu sich hinüberzieht. So ist der Ton, der aus dem Kreise der Tonart hinaustritt, ein bereits von einer andern Tonart angezogener und von ihr bestimmter, und in diese Tonart muß er sich daher nach dem notwendigen Gesetze der Liebe ergießen. Der aus einer Tonart in eine andere drängende Leitton, der durch dieses Drängen allein schon die Verwandtschaft mit dieser Tonart aufdeckt, kann nur als von dem Motive der Liebe bestimmt gedacht werden. Das Motiv der Liebe ist das aus dem Subjekte heraustreibende und dieses Subjekt zur Verbindung mit einem andern nötigende. Dem einzelnen Tone kann dieses Motiv nur aus einem Zusammenhange entstehen, der ihn als besonderen bestimmt; der bestimmende Zusammenhang der Melodie liegt aber in dem sinnlichen Ausdrucke der Wortphrase, der wiederum aus dem Sinne dieser Phrase zuerst bestimmt wurde. Betrachten wir genauer, so werden wir ersehen, daß hier dieselbe Bestimmung maßgebend ist, die bereits im Stabreime entfernter liegende Empfindungen unter sich verband.
    Der Stabreim verband, wie wir sahen, dem sinnlichen Gehöre bereits Sprachwurzeln von entgegengesetzem Empfindungsausdruck (wie »Lust und Leid«, »Wohl und Weh«) und führte sie so dem Gefühle als gattungsverwandt vor. In bei weitem erhöhtem Maße des Ausdruckes vermag nun die musikalische Modulation solch eine Verbindung dem Gefühle anschaulich zu machen. Nehmen wir z. B. einen stabgereimten Vers von vollkommen gleichem Empfindungsgehalte an, wie: »Liebe gibt Lust zum Leben«, so würde hier der Musiker, wie in den stabgereimten Wurzeln der Akzente eine gleiche Empfindung sinnlich sich offenbart, auch keine natürliche Veranlassung zum Hinaustreten aus der einmal gewählten Tonart erhalten, sondern er würde die Hebung und Senkung des musikalischen Tones, dem Gefühle vollkommen genügend, in derselben Tonart bestimmen. Setzen wir dagegen einen Vers von gemischter Empfindung, wie: »die Liebe bringt Lust und Leid«, so würde hier, wie der Stabreim zwei entgegengesetzte Empfindungen verbindet, der Musiker auch aus der angeschlagenen, der ersten Empfindung entsprechenden Tonart in eine andere, der zweiten Empfindung, nach ihrem Verhältnisse zu der in der ersten Tonart bestimmten, entsprechende überzugehen sich veranlaßt fühlen. Das Wort »Lust«, welches als äußerste Steigerung der ersten Empfindung zu der zweiten hinzudrängen scheint, würde in dieser Phrase eine ganz andere Betonung zu erhalten haben als in jener: »die Liebe gibt Lust zum Leben«; der auf ihm gesungene Ton würde unwillkürlich zu dem bestimmenden Leitton werden, welcher mit Notwendigkeit zu der andern Tonart, in der das »Leid« auszusprechen wäre, hindrängte. In dieser Stellung zueinander würde »Lust und Leid« zu einer Kundgebung einer besonderen Empfindung werden, deren Eigentümlichkeit gerade in dem Punkte läge, wo zwei entgegengesetzte Empfindungen als sich bedingend, und somit als notwendig sich zugehörend, als wirklich verwandt, sich darstellten; und diese Kundgebung ist nur in der Musik nach ihrer Fähigkeit der harmonischen Modulation zu ermöglichen, weil sie vermöge dieser einen bindenden Zwang auf das sinnliche Gefühl ausübt, zu dem keine andere Kunst die Kraft besitzt. – Sehen wir aber zunächst noch, wie die musikalische Modulation mit dem Versinhalte gemeinsam

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