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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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ein Stück Volksnaivetät vorhanden wäre, wie es aussähe und wie es klänge. Unsere greise Zivilisation ward wieder kindisch, und kindische Greise sterben bald! –
    Dort im schönen, vielbesudelten Lande Italien, dessen musikalisches Fett Rossini so vornehm behaglich für die vermagerte Kunstwelt abgeschöpft hatte, saß der sorglos üppige Meister und sah mit verwundertem Lächeln dem Herumkrappeln der galanten Pariser Volksmelodien-Jäger zu. Einer von diesen war ein guter Reiter, und wenn er nach hastigem Ritte vom Pferde stieg, wußte man, daß er eine gute Melodie gefunden hatte, die ihm vieles Geld einbringen würde. Dieser ritt jetzt wie besessen durch allen Fisch- und Gemüsekram des Marktes von Neapel hindurch, daß alles rings umherflog, Geschnatter und Gefluche ihm nachfolgte und drohende Fäuste sich gegen ihn erhoben – so daß ihm mit Blitzesschnelle der Instinkt von einer prachtvollen Fischer- und Gemüsehändler-Revolution in die Nase fuhr. Aber hiervon war noch mehr zu profitieren! Hinaus nach Portici jagt der Pariser Reiter, zu den Barken und Netzen jener naiven Fischer, die da singen und Fische fangen, schlafen und wüten, mit Weib und Kind spielen und Messer werfen, sich totschlagen und immer dabei singen. Meister Auber , gesteh, das war ein guter Ritt und besser als auf dem Hippogryphen, der immer nur in die Lüfte schreitet – aus denen doch eigentlich gar nichts zu holen ist als Schnupfen und Erkältung! – Der Reiter ritt heim, stieg vom Roß, machte Rossini ein ungemein verbindliches Kompliment (er ,wußte wohl, warum?), nahm Extrapost nach Paris, und was er im Handumdrehen dort fertigte, war nichts anders als die »Stumme von Portici« .
    – Diese Stumme war die nun sprachlos gewordene Muse des Dramas, die zwischen singenden und tobenden Massen einsam traurig, mit gebrochenem Herzen dahinwandelte, um vor Lebensüberdruß sich und ihren unlösbaren Schmerz endlich im künstlichen Wüten des Theatervulkanes zu ersticken! –
    Rossini schaute dem prächtigen Spektakel aus der Ferne zu, und als er nach Paris reiste, hielt er es für gut, unter den schneeigen Alpen der Schweiz ein wenig zu rasten, und wohl darauf hinzuhorchen, wie die gesunden, kecken Burschen dort mit ihren Bergen und Kühen sich musikalisch zu unterhalten pflegten. In Paris angelangt, machte er Auber sein verbindlichstes Kompliment (er wußte wohl, warum?), und stellte der Welt mit vieler Vaterfreude sein jüngstes Kind vor, das er mit glücklicher Eingebung »Wilhelm Tell« getauft hatte.
    Die »Stumme von Portici« und »Wilhelm Tell« wurden nun die beiden Achsen, um die sich fortan die ganze spekulative Opernmusikwelt bewegte. Ein neues Geheimnis, den halbverwesten Leib der Oper zu galvanisieren, war gefunden, und so lange konnte die Oper nun wieder leben, als man irgend noch nationale Besonderheiten zur Ausbeutung vorfand. Alle Länder der Kontinente wurden durchforscht, jede Provinz ausgeplündert, jeder Volksstamm bis auf den letzten Tropfen seines musikalischen Blutes ausgezogen und der gewonnene Spiritus zum Gaudium der Herren und Schächer der großen Opernwelt in blitzenden Feuerwerken verpraßt. Die deutsche Kunstkritik aber erkannte eine bedeutungsvolle Annäherung der Oper an ihr Ziel; denn nun habe sie die »nationale«, ja – wenn man will – sogar die »historische« Richtung eingeschlagen. Wenn die ganze Welt verrückt wird, fühlen sich die Deutschen am seligsten dabei; denn desto mehr haben sie zu deuten, zu erraten, zu sinnen und endlich – damit ihnen ganz wohl werde – zu klassifizieren! –
    Betrachten wir, worin die Einwirkung des Nationalen auf die Melodie, und durch sie auf die Oper bestand.
    Das Volkstümliche ist von jeher der befruchtende Quell aller Kunst gewesen, solange als es – frei von aller Reflexion – in natürlich aufsteigendem Wachstum sich bis zum Kunstwerke erheben konnte. In der Gesellschaft, wie in der Kunst, haben wir nur vom Volke gezehrt, ohne daß wir es wußten. In weitester Entfernung vom Volke hielten wir die Frucht, von der wir lebten, für Manna, das uns Privilegierten und Auserlesenen Gottes, Reichen und Genies, ganz nach himmlischer Willkür aus der Luft herab in das Maul fiel. Als wir das Manna aber verpraßt hatten, sahen wir uns nun hungrig nach den Fruchtbäumen auf Erden um und raubten diesen nun, als Räuber von Gottes Gnaden, mit keckem, räuberischem Bewußtsein ihre Früchte, unbekümmert darum, ob wir sie gepflanzt oder gepflegt hatten; ja, wir

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