Oper und Drama
dieser Sprache, bei all ihrer Wahrheit, dennoch ihrer Beschränktheit wegen nicht auszusprechen war, das mühte sich auch Weber vergebens herauszubringen; und sein Stammeln gilt uns hier als das redliche Bekenntnis von der Unfähigkeit der Musik, selbst wirklich Drama zu werden, nämlich, das wirkliche, nicht bloß für sie zugeschnittene Drama in sich aufgehen zu lassen; wogegen sie vernünftigerweise in diesem wirklichen Drama aufzugehen hat. –
Wir haben die Geschichte der Melodie fortzusetzen.
War Weber im Aufsuchen der Melodie auf das Volk zurückgegangen, und traf er im deutschen Volke die glückliche Eigenschaft naiver Innigkeit ohne beengende nationelle Sonderlichkeit an, so hatte er die Opernkomponisten im allgemeinen auf einen Quell hingelenkt, dem sie nun überall, wohin ihr Auge zu dringen vermochte, als einem nicht übel ergiebigen Brunnen nachspäheten.
Zunächst waren es französische Komponisten, die auf Zubereitung des Krautes Bedacht nahmen, das bei ihnen als heimische Pflanze gewachsen war. Schon längst hatte sich bei ihnen das witzige oder sentimentale »Couplet« auf der Volksbühne im rezitierten Schauspiele geltend gemacht. Seiner Natur nach mehr für den heitern, oder – wenn für den empfindsamen, doch nie für den leidenschaftlichen tragischen Ausdruck geeignet, hat es ganz von selbst auch den Charakter des dramatischen Genres bestimmt, in welchem es mit vorherrschender Absicht angewandt wurde. Der Franzose ist nicht gemacht, seine Empfindungen gänzlich in Musik aufgehen zu lassen; steigert sich seine Erregtheit bis zum Verlangen nach musikalischem Ausdrucke, so muß er dabei sprechen oder mindestens dazu tanzen können. Wo bei ihm das Couplet aufhört, da fängt der Kontretanz an; ohne den gibt's keine Musik für ihn. Ihm ist beim Couplet das Sprechen so sehr die Hauptsache, daß er es auch nur allein , nie mit andern zusammen singen will, weil man sonst nicht deutlich mehr verstehen würde, was gesprochen wird. Auch im Kontretanze stehen sich die Tänzer meistens einzeln gegenüber; jeder macht für sich, was er zu machen hat, und Umschlingungen des Paares finden nur statt, wenn der Charakter des Tanzes überhaupt es gar nicht anders mehr zuläßt. So steht im französischen Vaudeville alles zum musikalischen Apparate Gehörige einzeln, und nur durch die geschwätzige Prosa vermittelt, nebeneinander da, und wo das Couplet von mehreren zugleich gesungen wird, geschieht dies im peinlichsten musikalischen Einklange von der Welt. Die französische Oper ist das erweiterte Vaudeville; aller breitere musikalische Apparat in ihr ist für die Form der sogenannten dramatischen Oper, für den Inhalt aber demjenigen virtuosen Elemente entnommen, das durch Rossini seine üppigste Bedeutung erhielt.
Die eigentümliche Blüte dieser Oper ist und bleibt immer das mehr gesprochene als gesungene Couplet, und dessen musikalische Essenz die rhythmische Melodie des Kontretanzes. Auf dieses nationale Produkt, das immer nur als Nebenläufer der dramatischen Absicht, nie aber zu ihrer wirklichen Aufnahme in sich verwendet worden war, gingen französische Opernkomponisten mit erwogener Absichtlichkeit zurück, als sie auf der einen Seite des Todes der Spontinischen Oper innewurden, auf der andern Seite aber die weltberauschende Wirkung Rossinis wie namentlich auch den herzbewegenden Einfluß der Melodie Webers gewahrten. Der lebendige Inhalt jenes französischen Nationalproduktes war aber bereits verschwunden; so lange hatte Vaudeville und komische Oper an ihm gesogen, daß sein Quell in trockenster Dürre nicht mehr zu fließen vermochte. Wo die naturbedürftigsten Kunstmusiker nach dem ersehnten Rauschen des Baches hinhorchten, konnten sie es vor dem prosaischen Klippklapp der Mühle nicht mehr vernehmen, deren Rad sie selbst mit dem Wasser trieben, das sie aus seinem natürlichen Bette im bretternen Kanale zu ihm hingeleitet hatten. Wo sie das Volk singen hören wollten, tönten ihnen nur ihre ekelhaft wohlbekannten Vaudeville-Maschinen-Fabrikate entgegen.
Nun ging die große Jagd auf Volksmelodien in fremder Herren Länder los. Bereits hatte Weber selbst, dem die heimische Blume welkte, in Forkels Schilderungen der arabischen Musik fleißig geblättert und ihnen einen Marsch für Haremswächter entnommen. Unsre Franzosen waren flinker auf den Beinen; sie blätterten nur im Reisehandbuche für Touristen, und machten sich dabei selbst auf, ganz in der Nähe zu hören und zu sehen, wo irgend noch
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