Oper und Drama
bezog, als reinmenschliches Unabhängigkeitsgefühl sich daher auch noch nicht als absolut und unbedingt erfaßte, suchte, wie sich selbst unerklärlich, und mehr zufällig als notwendig erweckt, noch nach Berechtigungsgründen und glaubte diese in der nationalen Wurzel der Völker finden zu dürfen. Die hieraus entstehende Bewegung glich in Wahrheit weit mehr einer Restauration als einer Revolution; sie gab sich in ihrer äußersten Verirrung als Sucht der Wiederherstellung des Alten und Verlorenen kund, und erst in der neuesten Zeit haben wir erfahren dürfen, wie dieser Irrtum nur zu neuen Fesseln für unsre Entwickelung zur wirklich menschlichen Freiheit führen konnte: dadurch, daß wir dies erkennen mußten, sind wir nun aber auch mit Bewußtsein auf die rechte Bahn getrieben worden, und zwar mit schmerzlicher, aber heilsamer Gewalt.
Ich habe nicht im Sinne, hier die Darlegung des Wesens der Oper als im Einklange mit unsrer politischen Entwickelung stehend zu geben; der willkürlichen Wirkung der Phantasie ist hier ein zu beliebiger Spielraum geboten, als daß bei solchem Beginnen nicht die absurdesten Abenteuerlichkeiten ausgeheckt werden könnten – wie es denn auch in unerbaulichster Fülle in bezug auf diesen Gegenstand bereits geschehen ist. Es liegt mir vielmehr daran, das Unnatürliche und Widerspruchsvolle dieses Kunstgenres, sowie seine offenkundige Unfähigkeit, die in ihm vorgegebene Absicht wirklich zu erreichen, einzig aus seinem Wesen selbst zur Erklärung zu bringen. Die nationale Richtung aber, die in der Behandlung der Melodie eingeschlagen wurde, hat in ihrer Bedeutung und Verirrung, endlich in ihrer immer klarer werdenden und ihren Irrtum kundgebenden Zersplitterung und Unfruchtbarkeit, zu viel Übereinstimmendes mit den Irrtümern unsrer politischen Entwickelung in den letzten vierzig Jahren, als daß die Beziehung hierauf übergangen werden könnte.
In der Kunst, wie in der Politik, hat diese Richtung das Bezeichnende, daß der ihr zugrundeliegende Irrtum in seiner ersten Unwillkürlichkeit sich mit verführerischer Schönheit, in seiner eigensüchtig bornierten endlichen Halsstarrigkeit aber mit widerlicher Häßlichkeit zeigte. Er war schön, solange der, nur befangene, Geist der Freiheit sich in ihm aussprach; er ist jetzt ekelhaft, wo der Geist der Freiheit in Wahrheit ihn bereits gebrochen hat und nur gemeiner Egoismus ihn noch künstlich aufrecht erhält.
In der Musik äußerte sich die nationale Richtung bei ihrem Beginne um so mehr mit wirklicher Schönheit, als der Charakter der Musik sich überhaupt mehr in allgemeiner als in spezifischer Empfindung ausspricht. Was bei unsern dichtenden Romantikern sich als römisch-katholisch mystische Augenverdreherei und feudal-ritterliche Liebedienerei kundgab, äußerte sich in der Musik als heimisch innige, tief und weitatmige, in edler Anmut erblühende Tonweise – als Tonweise, wie sie dem wirklichen letzten Seelenhauche des verscheidenden naiven Volksgeistes abgelauscht war.
Dem über alles liebenswürdigen Tondichter des »Freischützen« schnitten die wollüstigen Melodien Rossinis, in denen alle Welt schwelgte, widerlich schmerzlich in das reinfühlende Künstlerherz; er konnte es nicht zugeben, daß in ihnen der Quell der wahren Melodie läge; er mußte der Welt beweisen, daß sie nur ein unreiner Ausfluß dieses Quelles seien, der Quell selbst aber, da wo man ihn zu finden wisse, in ungetrübtester Klarheit noch fließe. Wenn jene vornehmen Gründer der Oper auf den Volksgesang nur hinlauschten, so hörte nun Weber mit angestrengtester Aufmerksamkeit auf ihn. Drang der Duft der schönen Volksblume von der Waldwiese auf in die prunkenden Gemächer der luxuriösen Musikwelt, um dort zu portativen Wohlgerüchen destilliert zu werden, so trieb die Sehnsucht nach dem Anblicke der Blume Weber aus den üppigen Sälen hinab auf die Waldwiese selbst: dort gewahrte er die Blume am Quell des munter rieselnden Baches, zwischen kräftig duftendem Waldgrase auf wunderbar gekräuseltem Moose, unter sinnig rauschendem Laubgezweige der alten stämmigen Bäume. Wie fühlte der selige Künstler sein Herz erbeben bei diesem Anblicke, beim Einatmen dieser Fülle des Duftes! Er konnte dem Liebesdrange nicht widerstehen, der entnervten Menschheit diesen heilenden Anblick, diesen belebenden Duft zur Erlösung von ihrem Wahnsinne zuzuführen, die Blume selbst ihrer göttlich zeugenden Wildnis zu entreißen, um sie als Allerheiligstes der
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