Oper und Drama
segenbedürftigen Luxuswelt vorzuhalten: er brach sie ! – Der Unglückliche! – Oben im Prunkgemache setzte er die süß Verschämte in die kostbare Vase; täglich netzte er sie mit frischem Wasser aus dem Waldquell. Doch sieh! – die so keusch geschlossenen straffen Blätter entfalten sich, wie zu schlaffer Wollust ausgedehnt; schamlos enthüllt sie ihre edlen Zeugungsglieder und bietet sie mit grauenvoller Gleichgültigkeit der riechenden Nase jedes gaunerischen Wollüstlings dar. »Was ist dir, Blume?« ruft in Seelenangst der Meister: »vergissest du so die schöne Waldwiese, wo du so keusch gewachsen?« Da läßt die Blume, eines nach dem andern, die Blätter fahren; matt und welk zerstreuen sie sich auf dem Teppich; und ein letzter Hauch ihres süßen Duftes weht dem Meister zu: »Ich sterbe nur – da du mich brachest!« – Und mit ihr starb der Meister. Sie war die Seele seiner Kunst, und diese Kunst der rätselvolle Haft seines Lebens gewesen. – Auf der Waldwiese wuchs keine Blume mehr! – Tiroler Sänger kamen von ihren Alpen: sie sangen dem Fürsten Metternich vor; der empfahl sie mit guten Briefen an alle Höfe, und alle Lords und Bankiers amüsierten sich in ihren geilen Salons an dem lustigen Jodeln der Alpenkinder und wie sie von ihrem »Dierndel« sangen. Jetzt marschieren die Burschen nach Bellinischen Arien zum Morde ihrer Brüder, und tanzen mit ihrem Dierndel nach Donizettischen Opernmelodien, denn – die Blume wuchs nicht wieder! –
Es ist ein charakteristischer Zug der deutschen Volksmelodie, daß sie weniger in kurzgefügten, keck und sonderlich bewegten Rhythmen, sondern in langatmigen, froh und doch sehnsüchtig geschwellten Zügen sich uns kundgibt. Ein deutsches Lied, gänzlich ohne harmonischen Vortrag, ist uns undenkbar: überall hören wir es mindestens zweistimmig gesungen; die Kunst fühlt sich ganz von selbst aufgefordert, den Baß und die leicht zu ergänzende zweite Mittelstimme einzufügen, um den Bau der harmonischen Melodie vollständig vor sich zu haben. Diese Melodie ist die Grundlage der Weberschen Volksoper; sie ist, frei aller lokal-nationellen Sonderlichkeit, von breitem, allgemeinem Empfindungsausdrucke, hat keinen andern Schmuck als das Lächeln süßester und natürlichster Innigkeit, und spricht so, durch die Gewalt unentstellter Anmut, zu den Herzen der Menschen, gleichviel welcher nationalen Sonderheit sie angehören mögen, eben weil in ihr das Reinmenschliche so ungefärbt zum Vorschein kommt. Möchten wir in der weltverbreiteten Wirkung der Weberschen Melodie das Wesen deutschen Geistes und seine vermeintliche Bestimmung besser erkennen, als wir in der Lüge von seinen spezifischen Qualitäten es tun! –
Nach dieser Melodie gestaltet Weber alles; was er, gänzlich von ihr erfüllt, gewahrt und wiedergeben will, was er so im ganzen Gerüste der Oper für fähig erkennt oder fähig zu machen weiß, in dieser Melodie sich auszudrücken, sei es auch nur dadurch, daß er es mit ihrem Atem überhaucht, mit einem Tautropfen aus dem Kelche der Blume es besprengt, das mußte ihm gelingen zu hinreißend wahrer und treffender Wirkung zu bringen. Und diese Melodie war es, die Weber zum wirklichen Faktor seiner Oper machte: das Vorgeben des Dramas fand durch diese Melodie insoweit seine Verwirklichung, als das ganze Drama von vornherein wie vor Sehnsucht hingegossen war, in diese Melodie aufgenommen, von ihr verzehrt, in ihr erlöst, durch sie gerechtfertigt zu werden. Betrachten wir so den »Freischützen« als Drama, so müssen wir seiner Dichtung genau dieselbe Stellung zu Webers Musik zuweisen, als der Dichtung des »Tankredi« zur Musik Rossinis. Die Melodie Rossinis bedingte den Charakter der Dichtung des »Tankredi« ganz ebenso als Webers Melodie die Dichtung des Kindischen »Freischützen«, und Weber war hier nichts anderes, als was Rossini dort war, nur er edel und sinnig, was dieser frivol und sinnlich. [Fußnote: Was ich hier unter »sinnlich« verstehe, im Gegensatze zu der Sinnlichkeit, die ich als das verwirklichende Moment des Kunstwerkes setze, möge aus dem Zurufe eines italienischen Publikums erhellen, das im Entzücken über den Gesang eines Kastraten in den Schrei ausbrach: »Gesegnet sei das Messerchen!« – ] Weber öffnete nur die Arme zur Aufnahme des Dramas um so viel weiter, als seine Melodie die wirkliche Sprache des Herzens, wahr und ungefälscht war: was in ihr aufging, war wohlgeborgen und sicher vor jeder Entstellung. Was in
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