Oper und Drama
eben dieses »Effekt«, an. Wollen wir daher genau das bezeichnen, was wir unter diesem Worte verstehen, so dürfen wir »Effekt« übersetzen durch »Wirkung ohne Ursache« .
In der Tat bringt die Meyerbeersche Musik auf diejenigen, die sich an ihr zu erbauen vermögen, eine Wirkung ohne Ursache hervor. Dies Wunder war nur der äußersten Musik möglich, d. h. einem Ausdrucksvermögen, das sich (in der Oper) von jeher von allem Ausdruckswerten immer unabhängiger zu machen suchte, und seine vollständig erreichte Unabhängigkeit von ihm dadurch kundgab, daß es den Gegenstand des Ausdruckes, der diesem Ausdrucke allein Dasein, Maß und Rechtfertigung geben sollte, zu sittlicher wie künstlerischer Nichtigkeit in dem Grade herabdrückte, daß er nun Dasein, Maß und Rechtfertigung allein erst aus einem Akte musikalischen Beliebens gewinnen konnte, der somit selbst alles wirklichen Ausdruckes bar geworden war. Dieser Akt selbst konnte aber wiederum nur in Verbindung mit anderen Momenten absoluter Wirkung ermöglicht werden. In der extremsten Instrumentalmusik war an die rechtfertigende Kraft der Phantasie appelliert, welcher durch ein Programm oder auch nur durch einen Titel ein Stoff zum außermusikalischen Anhalt gegeben wurde: in der Oper aber sollte dieser Anhaltestoff verwirklicht, d. h. der Phantasie jede peinliche Mühe erspart werden. Was dort aus Momenten des natürlichen oder menschlichen Erscheinungslebens programmatisch herbeigezogen war, sollte hier in materiellster Realität wirklich vorgeführt werden, um eine phantastische Wirkung so ohne alle Mitwirkung der Phantasie selbst hervorzubringen. Diesen materiellen Anhaltestoff entnahm der Komponist nun der szenischen Mechanik selbst, indem er die Wirkungen, die sie hervorzubringen vermochte, ebenfalls rein für sich nahm, d. h. sie von dem Gegenstande loslöste, der, außerhalb des Gebietes der Mechanik, auf dem Boden der lebendarstellenden Dichtkunst stehend, sie hätte bedingen und rechtfertigen können. – Machen wir uns an einem Beispiele, welches die Meyerbeersche Kunst überhaupt auf das erschöpfendste charakterisiert, hierüber vollkommen klar.
Nehmen wir an, ein Dichter sei von einem Helden begeistert, von einem Streiter für Licht und Freiheit, in dessen Brust eine mächtige Liebe für seine entwürdigten und in ihren heiligsten Rechten gekränkten Brüder flamme. Er will diesen Helden darstellen auf dem Höhepunkte seiner Laufbahn, mitten im Lichte seiner tatenvollen Glorie, und wählt hierzu folgenden entscheidenden Geschichtsmoment. Mit den Volksscharen, die seinem begeisternden Rufe gefolgt sind, die Haus und Hof, Weib und Kind verließen, um im Kampfe gegen mächtige Unterdrücker zu siegen oder zu sterben, ist der Held vor einer festen Stadt angelangt, die von den kriegsungeübten Haufen in blutigem Sturme erobert werden muß, wenn das Befreiungswerk einen siegreichen Fortgang haben soll. Durch vorangegangene Unfälle ist Entmutigung eingetreten; schlechte Leidenschaften, Zwiespalt und Verwirrung wüten im Heere: Alles ist verloren, wenn heute nicht noch alles gewonnen ist. Das ist die Lage, in der Helden zu ihrer vollsten Größe wachsen. Der Dichter läßt den Helden, der sich so eben in nächtlicher Einsamkeit mit dem Gotte in sich, dem Geiste reinster Menschenliebe, beraten und durch seinen Hauch sich geweiht hat, im Grauen der Morgendämmerung heraustreten unter die Scharen, die bereits uneinig unter sich geworden sind, ob sie feige Bestien oder göttliche Helden sein sollen. Auf seine mächtige Stimme sammelt sich das Volk, und diese Stimme dringt bis auf das innerste Mark der Menschen, die jetzt des Gottes in sich auch innewerden: sie fühlen sich gehoben und veredelt, und ihre Begeisterung hebt der Held wieder höher empor, denn aus der Begeisterung drängt er nun zur Tat. Er ergreift die Fahne und schwingt sie hoch nach den furchtbaren Mauern dieser Stadt hin, dem festen Walle der Feinde, die, solange sie hinter Wällen sicher sind, eine bessere Zukunft der Menschen unmöglich machen. »Auf denn! Sterben oder Siegen! Diese Stadt muß unser sein!« – Der Dichter hat sich jetzt erschöpft: er will auf der Bühne den einen Augenblick nun ausgedrückt sehen, wo plötzlich die hocherregte Stimmung wie in überzeugendster Wirklichkeit vor uns hintritt; die Szene muß uns zum Weltschauplatze werden, die Natur muß sich im Bunde mit unserem Hochgefühle erklären, sie darf uns nicht mehr eine kalte, zufällige Umgebung bleiben.
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