Oper und Drama
Mechanik selbst hinzuweisen. So ist in dieser einzigen, von dem Publikum so gefeierten Szene, alle Kunst in ihre mechanischen Bestandteile aufgelöst: die Äußerlichkeiten der Kunst sind zu ihrem Wesen gemacht; und als dieses Wesen erkennen wir – den Effekt , den absoluten Effekt, d. h. den Reiz eines künstlich entlockten Liebeskitzels, ohne die Tätigkeit eines wirklichen Liebesgenusses.
Ich habe mir nicht vorgenommen, eine Kritik der Meyerbeerschen Opern zu geben, sondern an ihnen nur das Wesen der modernsten Oper, in ihrem Zusammenhange mit dem ganzen Genre überhaupt, darzustellen. War ich durch die Natur des Gegenstandes gezwungen, meiner Darstellung oft den Charakter einer historischen zu geben, so durfte ich mich dennoch nicht verleitet fühlen, dem eigentlichen historischen Detaillieren mich hinzugeben. Hätte ich im Besonderen die Fähigkeit und den Beruf Meyerbeers zur dramatischen Komposition zu charakterisieren, so würde ich zur Feier der Wahrheit, die ich vollständig aufzudecken mich bemühe, eine merkwürdige Erscheinung in seinen Werken am stärksten hervorheben. – In der Meyerbeerschen Musik gibt sich eine so erschreckende Hohlheit, Seichtigkeit und künstlerische Nichtigkeit kund, daß wir seine spezifisch musikalische Befähigung – namentlich auch zusammengehalten mit der der bei weitem größeren Mehrzahl seiner komponierenden Zeitgenossen – vollkommen auf Null zu setzen versucht sind. Nicht, daß er dennoch zu so großen Erfolgen vor dem Opernpublikum Europas gelangt ist, soll uns hier aber mit Verwunderung erfüllen, denn dies Wunder erklärt sich durch einen Hinblick auf dieses Publikum sehr leicht – sondern eine rein künstlerische Beobachtung soll uns fesseln und belehren. Wir beobachten nämlich, daß bei der ausgesprochensten Unfähigkeit des berühmten Komponisten, aus eigenem musikalischen Vermögen das geringste künstlerische Lebenszeichen von sich zu geben, er nichtsdestoweniger an einigen Stellen seiner Opernmusik sich zu der Höhe des allerunbestreitbarsten, größten künstlerischen Vermögens erhebt. Diese Stellen sind Erzeugnisse wirklicher Begeisterung, und prüfen wir näher, so erkennen wir auch, woher diese Begeisterung angeregt war – nämlich aus der wirklich dichterischen Situation. Da, wo der Dichter seiner zwingenden Rücksicht für den Musiker vergaß, wo er bei seinem dramatisch kompilatorischen Verfahren unwillkürlich auf einen Moment getroffen war, in dem er die freie, erfrischende menschliche Lebensluft einatmen und wieder aushauchen durfte – führt er plötzlich auch dem Musiker diesen Atemzug als begeisternden Hauch zu, und der Komponist, der bei Erschöpfung alles Vermögens seiner musikalischen Vorgängerschaft nicht einen einzigen Zug wirklicher Erfindung von sich geben konnte, vermag jetzt mit einem Male den reichsten, edelsten und seelenergreifendsten musikalischen Ausdruck zu finden. Ich erinnere hier namentlich an einzelne Züge in der bekannten schmerzlichen Liebesszene des vierten Aktes der »Hugenotten«, und vor allem an die Erfindung der wunderbar ergreifenden Melodie in Ges-Dur, der, wie sie als duftigste Blüte einer alle Fasern des menschlichen Herzens mit wonnigem Schmerze ergeifenden Situation entsproßt ist, nur sehr weniges, und gewiß nur das Vollendetste aus Werken der Musik an die Seite gestellt werden kann. Ich hebe dies mit aufrichtigster Freude und in wahrer Begeisterung hervor, weil gerade in dieser Erscheinung das wirkliche Wesen der Kunst auf eine so klare und unwiderlegliche Weise dargetan wird, daß wir mit Entzücken ersehen müssen, wie die Fähigkeit zu wahrhaftem Kunstschaffen auch dem allerverdorbensten Musikmacher ankommen muß, sobald er das Gebiet einer Notwendigkeit betritt, die stärker ist als seine eigensüchtige Willkür, und sein verkehrtes Streben plötzlich zu seinem eigenen Heile in die wahre Bahn echter Kunst lenkt.
Aber daß hier eben nur einzelner Züge zu erwähnen ist, nicht aber eines einzigen ganzen, großen Zuges, nicht z. B. der ganzen Liebesszene, deren ich gedachte, sondern nur vereinzelter Momente in ihr, das zwingt uns vor allem nur über die grausame Natur jenes Wahnsinnes nachzudenken, der die Entwickelung der edelsten Fähigkeiten des Musikers im Keime erstickt, und seiner Muse das fade Lächeln einer widerlichen Gefallsucht oder das verzerrte Grinsen einer verrückten Herrschwut aufprägt. Dieser Wahnsinn ist der Eifer des Musikers, alles das für sich und aus seinem Vermögen
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