Oper und Drama
sich dem szenischen Drama zuwandte.
Von dem dramatisierten bürgerlichen Romane, den er im »Egmont« durch Ausdehnung der Umgebung bis zum Zusammenhange weitverzweigter historischer Momente von innen heraus zu seiner höchsten Höhe zu steigern versuchte, war Goethe mit dem Entwurfe zum »Faust« entschieden abgegangen: reizte ihn nun noch das Drama als vollendetste Gattung der Dichtkunst, so geschah dies namentlich durch Betrachtung desselben in seiner vollendetsten künstlerischen Form. Diese Form , die den Italienern und Franzosen, dem Grade ihrer Kenntnis des Antiken gemäß, nur als äußere zwingende Norm verständlich war, ging dem geläuterteren Blicke deutscher Forscher als ein wesentliches Moment der Äußerung griechischen Lebens auf: die Wärme jener Form vermochte sie zu begeistern, als sie die Wärme dieses Lebens aus seinen Monumenten selbst herausgefühlt hatten. Der deutsche Dichter begriff, daß die einheitliche Form der griechischen Tragödie dem Drama nicht von außen aufgelegt, sondern durch den einheitlichen Inhalt von innen heraus neu belebt werden müsse. Der Inhalt des modernen Lebens, der sich immer nur noch im Romane verständlich zu äußern vermochte, war unmöglich zu so plastischer Einheit zusammenzudrängen, daß er bei verständlicher dramatischer Behandlung sich in der Form des griechischen Dramas hätte aussprechen, diese Form aus sich rechtfertigen oder gar notwendig erzeugen können. Der Dichter, dem es hier um absolute künstlerische Gestaltung zu tun war, konnte auch jetzt immer nur noch zu dem Verfahren der Franzosen – wenigstens äußerlich – zurückkehren; er mußte, um die Form des griechischen Dramas für sein Kunstwerk zu rechtfertigen, auch den fertigen Stoff des griechischen Mythos dazu verwenden. Wenn Goethe zu dem fertigen Stoffe der »Iphigenia in Tauris« griff, verfuhr er aber ähnlich wie Beethoven in seinen wichtigsten symphonischen Sätzen: wie Beethoven sich der fertigen absoluten Melodie bemächtigte, sie gewissermaßen auflöste, zerbrach und ihre Glieder durch neue organische Belebung zusammenfügte, um den Organismus der Musik selbst zum Gebären der Melodie fähig zu machen – so ergriff Goethe den fertigen Stoff der »Iphigenia«, zersetzte ihn in seine Bestandteile und fügte diese durch organisch belebende dichterische Gestaltung von neuem zusammen, um so den Organismus des Dramas selbst zur Zeugung der vollendeten dramatischen Kunstform zu befähigen. Aber nur mit diesem, im voraus bereits fertigen Stoffe konnte Goethe dies Verfahren gelingen: an keinem dem modernen Leben oder dem Romane entnommenen durfte der Dichter zu gleichem Erfolge gelangen; bereits im »Tasso« verkühlte sich dieser Stoff merklich unter seinen einheitlich gestaltenden Händen – in der »Eugenie« erstarrte er endlich zu Eis. Wir werden auf den Grund dieser Erscheinung zurückkommen: für jetzt genügt es, aus dem Überblicke des Goetheschen Kunstschaffens zu bestätigen, daß der Dichter auch von diesem Versuche des Dramas sich wieder abwandte, sobald es ihm nicht um absolutes Kunstschaffen, sondern um die Darstellung des Lebens selbst zu tun war. Dieses Leben in seiner vielgliederigen Verzweigung und von nah und fern willenlos beeinflußten äußeren Gestaltung konnte auch Goethe nur im Romane zu verständlicher Darlegung bewältigen. Die eigentliche Blüte seiner modernen Weltanschauung konnte der Dichter nur in der Schilderung, im Appell an die Phantasie, nicht in der unmittelbaren dramatischen Darstellung uns mitteilen – so daß Goethes einflußreichstes Kunstschaffen sich wieder in den Roman verlieren mußte, aus dem er im Beginn seiner dichterischen Laufbahn mit Shakespeareschem Drange sich zum Drama gewendet hatte. –
Schiller begann, wie Goethe, mit dem dramatisierten Romane unter dem Einflusse des Shakespeareschen Dramas. Der bürgerliche und politische Roman beschäftigte seinen dramatischen Gestaltungstrieb so lange, bis er an den modernen Quell dieses Romanes, die nackte Geschichte selbst, gelangte und aus dieser das Drama unmittelbar zu konstruieren sich bemühte. Hier zeigte sich die Sprödigkeit des geschichtlichen Stoffes und seine Unfähigkeit zur Darstellung in dramatischer Form. – Shakespeare übersetzte die trockene, aber redliche historische Chronik in die lebenvolle Sprache des Dramas; diese Chronik zeichnete mit genauer Treue und Schritt für Schritt den Gang der historischen Ereignisse und die Taten der in ihnen handelnden Personen auf:
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