Oper und Drama
Deutschland, um dem Volke ihre grotesk pantomimischen Taschenspielereien vorzumachen: erst lange darauf, als auch es in England verblüht war, folgte das Shakespearesche Drama selbst nach; deutsche Schauspieler, die vor der Zucht ihrer langweiligen dramatischen Schulmeister flohen, bemächtigten sich desselben, um es für ihre Praxis herzurichten.
Vom Süden her war dagegen die Oper, dieser Ausgang des romanischen Dramas, hereingedrungen. Ihr vornehmer Ursprung aus den Palästen der Fürsten empfahl sie wiederum den deutschen Fürsten, so daß diese Fürsten die Oper in Deutschland einführten, während – wohlgemerkt! – das Shakespearesche Schauspiel von dem Volke eingeholt ward. – In der Oper stellte sich der szenischen Mangelhaftigkeit der Shakespeareschen Bühne als vollster Gegensatz die üppigste und gesuchteste Ausstattung dieser Szene entgegen. Das musikalische Drama war recht eigentlich ein Schau spiel geworden, während das Schauspiel ein Hör spiel geblieben war. Wir haben hier nicht mehr nötig, den Grund der szenisch-dekorativen Ausschweifung im Operngenre zu untersuchen: dies lose Drama war von außen konstruiert, und von außen her, durch Luxus und Pracht, konnte es auch nur am Leben erhalten werden. Nur ist es wichtig, zu beobachten, wie dieser szenische Prunk mit dem unerhört buntesten, ausgesucht mannigfaltigsten Wechsel szenischer Vorführungen an das Auge, aus der dramatischen Richtung hervorging, in der ursprünglich die Einheit der Szene als Norm aufgestellt worden war. Nicht der Dichter, der, indem er den Roman zum Drama zusammendrängte, insoweit seine Vielstoffigkeit noch unbeschränkt ließ, als er die Szene zu ihren Gunsten durch den Appell an die Phantasie häufig und schnell zu wechseln vermochte – nicht der Dichter hat, um etwa von diesem Appell an die Phantasie sich an die Bestätigung der Sinne zu wenden, jenen raffinierten Mechanismus zur Verwandlung wirklich dargestellter Szenen erfunden, sondern das Verlangen nach äußerlicher Unterhaltung und deren Wechsel, die bloße Augenbegierde, hat ihn hervorgebracht. Hätte diesen Apparat der Dichter erfunden, so müßten wir auch annehmen, er habe die Notwendigkeit des häufigen Szenenwechsels aus einer Notwendigkeit der Vielstoffigkeit des Dramas selbst als Bedürfnis gefühlt: da der Dichter, wie wir sahen, von innen heraus organisch konstruierte, würde bei jener Annahme somit bewiesen sein, daß die historielle und romanhafte Vielstoffigkeit ein notwendiges Bedingnis des Dramas sei; denn nur die unbeugsame Notwendigkeit dieses Bedingnisses hätte ihn dazu treiben können, dem Bedürfnisse der Vielstoffigkeit durch Erfindung eines szenischen Apparates zu entsprechen, durch welchen die Vielstoffigkeit auch als bunte, zerstreuende Vielszenigkeit sich äußern mußte. Gerade umgekehrt war es aber der Fall. Shakespeare fühlte sich von der Notwendigkeit der dramatischen Darstellung der Historie und des Romanes gedrängt; in dem frischen Eifer, diesem Drange zu entsprechen, kam in ihm das Gefühl von der Notwendigkeit auch einer naturgetreuen Darstellung der Szene noch nicht auf – hätte er noch diese Notwendigkeit für die vollkommen überzeugende Darstellung einer dramatischen Handlung empfunden, so würde er ihr durch ein noch bei weitem genaueres Sichten und dichteres Zusammendrängen der Vielstoffigkeit des Romanes zu entsprechen gesucht haben, und zwar ganz in der Weise, wie er bereits den Schauplatz und die Zeitdauer der Darstellung, und ihretwegen die Vielstoffigkeit selbst, zusammengedrängt hatte. Die Unmöglichkeit, den Roman noch enger zu verdichten, auf die er hierbei unfehlbar gestoßen wäre, müßte dann ihn aber über die Natur des Romanes dahin aufgeklärt haben, daß diese mit der des Dramas in Wahrheit nicht übereinstimme, eine Entdeckung, die wir erst machen konnten, als uns die undramatische Vielstoffigkeit der Historie aus der Verwirklichung der Szene zu Gefühl kam, die durch den Umstand, daß sie nur angedeutet zu werden brauchte, Shakespeare den dramatischen Roman einzig ermöglichte. –
Die Notwendigkeit einer dem Orte der Handlung entsprechenden Darstellung der Szene konnte nun mit der Zeit nicht ungefühlt bleiben; die mittelalterliche Bühne mußte verschwinden und der modernen Platz machen. In Deutschland wurde sie durch den Charakter der Volksschauspielkunst bestimmt, die ihre dramatische Grundlage, seit dem Ersterben der Passions- und Mysterienspiele, ebenfalls der Historie und dem Romane
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