Oper und Drama
verständlich aussprechen konnte. Schiller kehrte nie zum eigentlichen Romane wieder zurück; das Ideal seiner höheren Kunstanschauung, wie es ihm in der antiken Kunstform aufgegangen war, machte er zum Wesen der wahren Kunst selbst: dies Ideal sah er aber nur vom Standpunkte der poetischen Unfähigkeit unseres Lebens aus, und unsere Lebenszustände mit dem menschlichen Leben überhaupt verwechselnd, konnte er sich endlich die Kunst nur als ein vom Leben Getrenntes, die höchste Kunstfülle als ein Gedachtes, nur annäherungsweise aber Erreichbares vorstellen. –
So blieb Schiller zwischen Himmel und Erde in der Luft schweben, und in dieser Schwebe hängt nach ihm unsere ganze dramatische Dichtkunst. Jener Himmel ist in Wahrheit aber nichts anderes als die antike Kunstform und jene Erde der praktische Roman unserer Zeit . Die neueste dramatische Dichtkunst, die als Kunst nur von den zu literarischen Denkmälern gewordenen Versuchen Goethes und Schillers lebt, hat das Schwanken zwischen den bezeichneten entgegengesetzten Richtungen bis zum Taumeln fortgesetzt. Wo sie aus der bloßen literarischen Dramatik sich zur Darstellung des Lebens anließ, ist sie, um szenisch wirkungsvoll und verständlich zu sein, immer in die Plattheit des dramatisierten bürgerlichen Romanes zurückgefallen, oder, wollte sie einen höheren Lebensgehalt aussprechen, so sah sie sich genötigt, das falsche dramatische Federgewand allmählich immer wieder vollständig von sich abzustreifen und als nackter sechs- oder neunbändiger Roman der bloßen Lektüre sich vorzustellen. –
Um unser ganzes kunstliterarisches Schaffen für einen schnellen Überblick zusammenzufassen, reihen wir die aus ihm hervorgehenden Erscheinungen in folgende Ordnung.
Am verständlichsten vermag unser Lebenselement künstlerisch nur der Roman darzustellen. Im Streben nach wirkungsvollerer, unmittelbarerer Darstellung seines Stoffes wird der Roman dramatisiert . Bei erkannter und von jedem Dichter neu erfahrener Unmöglichkeit dieses Beginnens wird der in seiner Vielhandlichkeit störende Stoff zur, erst unwahren, dann vollständig inhaltslosen Unterlage des modernen Bühnenstückes , d. h. des Schauspieles, welches wiederum nur dem modernen Theatervirtuosen zur Unterlage dient, herabgedrückt. Von diesem Schauspiel wendet sich der Dichter, sobald er seines Versinkens in die Kulissenroutine gewahr wird, zur ungestörten Darstellung des Stoffes im Romane zurück; die vergebens von ihm erstrebte vollendete dramatische Form läßt er sich aber als etwas gänzlich Fremdes durch die tatsächliche Aufführung des wirklichen griechischen Dramas vorführen. In der Literatur- Lyrik bekämpft, verspottet – beklagt und beweint er aber endlich den Widerspruch unserer Lebenszustände, der ihm für die Kunst als Widerspruch zwischen Stoff und Form, für das Leben als Widerspruch zwischen Mensch und Natur erscheint.
Merkwürdig ist es, daß die neueste Zeit diesen tiefen, unversöhnbaren Widerspruch kunstgeschichtlich mit einer Augenfälligkeit dargetan hat, daß eine Forterhaltung des Irrtumes in bezug auf ihn jedem nur Halbhellblickenden unmöglich erscheinen muß. Während der Roman überall, und namentlich bei den Franzosen, nach letztem phantastischen Ausmalen der Historie sich auf die nackteste Darstellung des Lebens der Gegenwart warf, dieses Leben bei seiner lasterhaftesten sozialen Grundlage erfaßte und, bei vollendeter Unschönheit als Kunstwerk, das literarische Kunstwerk des Romanes selbst zur revolutionären Waffe gegen diese soziale Grundlage schuf – während der Roman, sage ich, zum Aufruf an die revolutionäre Kraft des Volkes wurde, die diese Lebensgrundlage zerstören soll –, vermochte ein geistvoller Dichter, der als schaffender Künstler nie die Fähigkeit gefunden hatte, irgendwelchen Stoff für das wirkliche Drama zu bewältigen, einen absoluten Fürsten zu dem Befehl an seinen Theaterintendanten, ihm eine wirkliche griechische Tragödie mit antiquarischer Treue aufführen zu lassen, wozu ein berühmter Komponist die nötige Musik anfertigen mußte. Dieses Sophokleische Drama erwies sich unserem Leben gegenüber als eine grobe künstlerische Notlüge: als eine Lüge, welche die künstlerische Not hervorbrachte, um die Unwahrheit unseres ganzen Kunstwesens zu bemänteln; als eine Lüge, welche die wahre Not unserer Zeit unter allerhand künstlerischem Vorwande hinwegzuleugnen suchte. Aber eine bestimmte Wahrheit mußte uns diese Tragödie
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