Oper und Drama
Herrscher zum Befehl der Aufführung einer griechischen Tragödie vermochte, diese Tragödie gerade keine andere sein mußte als unsere »Antigone«. Man suchte nach dem Werke, in welchem sich die Kunstform am reinsten aussprach , und – siehe da! – es war genau dasselbe, dessen Inhalt die reinste Menschlichkeit , die Vernichterin des Staates war! – Wie freueten sich die gelehrten alten Kinder über diese »Antigone« im Hoftheater zu Potsdam! Sie ließen aus der Höhe sich die Rosen streuen, die die erlösende Engelschar »Fausts« als Liebesflammen auf die beschwänzten »Dick- und Dünnteufel vom kurzen graden und langen krummen Horne« herabflattern läßt: leider erweckten sie ihnen aber nur das widerliche Gelüste, das Mephistopheles unter ihrem Brennen empfand – nicht Liebe! – Das »ewig Weibliche zog« sie nicht »hinan«, sondern das ewig Weibische brachte sie vollends nur herunter! –
Das Unvergleichliche des Mythos ist, daß er jederzeit wahr und sein Inhalt, bei dichtester Gedrängtheit, für alle Zeiten unerschöpflich ist. Die Aufgabe des Dichters war es nur, ihn zu deuten. Nicht überall stand schon der griechische Tragiker mit voller Unbefangenheit vor dem von ihm zu deutenden Mythos: der Mythos selbst war meist gerechter gegen das Wesen der Individualität als der deutende Dichter. Den Geist dieses Mythos hatte der Tragiker aber insoweit vollkommen in sich aufgenommen, als er das Wesen der Individualität zum unverrückbaren Mittelpunkte des Kunstwerkes machte, aus welchem dieses nach allen Richtungen hin sich ernährte und erfrischte. So unentstellt stand dieses urzeugende Wesen der Individualität vor der Seele des Dichters, daß ihr ein Sophokleischer Aias und Philoktetes entsprießen konnten – Helden, die keine Rücksicht der allerklügsten Weltmeinung aus der selbstvernichtenden Wahrheit und Notwendigkeit ihrer Natur herauslocken konnte zum Verschwimmen in den seichten Gewässern der Politik, auf denen der windkundige Odysseus so meisterlich hin- und herzuschiffen verstand.
Den Oidipusmythos brauchen wir auch heute nur seinem innersten Wesen nach getreu zu deuten, so gewinnen wir an ihm ein verständliches Bild der ganzen Geschichte der Menschheit vom Anfange der Gesellschaft bis zum notwendigen Untergange des Staates. Die Notwendigkeit dieses Unterganges ist im Mythos vorausempfunden; an der wirklichen Geschichte ist es, ihn auszuführen.
Seit dem Bestehen des politischen Staates geschieht kein Schritt in der Geschichte, der, möge er selbst mit noch so entschiedener Absicht auf seine Befestigung gerichtet sein, nicht zu seinem Untergange hinleite. Der Staat, als Abstraktum, ist von je immer im Untergange begriffen gewesen, oder richtiger, er ist nie erst in die Wirklichkeit getreten; nur die Staaten »in Konkreto« haben in beständigem Wechsel, als immer neu auftauchende Variationen des unausführbaren Themas ein gewaltsames und dennoch stets unterbrochenes und bestrittenes Bestehen gefunden. Der Staat, als Abstraktum, ist die fixe Idee wohlmeinender, aber irrender Denker – als Konkretum die Ausbeute für die Willkür gewaltsamer oder ränkevoller Individuen gewesen, die den Raum unserer Geschichte mit dem Inhalte ihrer Taten erfüllen. Mit diesem konkreten Staate – als dessen Inhalt Ludwig XIV. mit Recht sich bezeichnete – wollen wir uns hier nicht weiter mehr befassen; auch sein Kern geht uns aus der Oidipussage auf: als den Keim aller Verbrechen erkennen wir die Herrschaft des Laios, um deren ungeschmälerten Besitzes willen dieser zum unnatürlichen Vater ward. Aus diesem zum Eigentum gewordenen Besitze, der wunderbarerweise als die Grundlage jeder guten Ordnung angesehen wird, rühren alle Frevel des Mythos und der Geschichte her. – Fassen wir nur noch den abstrakten Staat ins Auge. Die Denker dieses Staates wollten die Unvollkommenheiten der wirklichen Gesellschaft nach einer gedachten Norm ebenen und ausgleichen: daß sie diese Unvollkommenheiten aber selbst als das Gegebene, der »Gebrechlichkeit« der menschlichen Natur einzig Entsprechende, festhielten, und nie auf den wirklichen Menschen selbst zurückgingen, der aus ersten unwillkürlichen, endlich aber irrtümlichen Anschauungen jene Ungleichheiten ebenso hervorgerufen hatte, als er durch Erfahrung und daraus entsprießende Berichtigung der Irrtümer auch ganz von selbst die vollkommene – d. h. den wirklichen Bedürfnissen der Menschen entsprechende – Gesellschaft herbeiführen muß – das war
Weitere Kostenlose Bücher