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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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dies vor den Augen der Bürger, als er den Leichnam des unpatriotischen Polyneikes zur entsetzlichen Schmach der Unbeerdigung, seine Seele somit zu ewiger Ruhelosigkeit verurteilte. Dies war ein Gebot von höchster politischer Weisheit: dadurch befestigte Kreon seine Macht, indem er den Eteokles, der durch seinen Eidbruch die Ruhe der Bürger gewährleistet hatte, rechtfertigte und somit deutlich zu verstehen gab, daß auch er gewillt sei, durch jedes auf sich allein zu nehmende Verbrechen gegen die wahrhafte menschliche Sittlichkeit das Bestehen des Staates in Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Durch sein Gebot gab er sogleich den bestimmtesten und kräftigsten Beweis seiner staatsfreundlichen Gesinnung: er schlug der Menschlichkeit ins Angesicht und rief – es lebe der Staat! – In diesem Staate gab es nur ein einsam trauerndes Herz, in das sich die Menschlichkeit noch geflüchtet hatte – das war das Herz einer süßen Jungfrau, aus dessen Grunde die Blume der Liebe zu allgewaltiger Schönheit erwuchs.
    Antigone verstand nichts von der Politik – sie liebte . – Suchte sie den Polyneikes zu verteidigen? Forschte sie nach Rücksichten, Beziehungen, Rechtsstandpunkten, die seine Handlungsweise erklären, entschuldigen oder rechtfertigen konnten? – Nein – sie liebte ihn. – Liebte sie ihn, weil er ihr Bruder war? – War nicht Eteokles auch ihr Bruder – waren nicht Oidipus und Jokaste ihre Eltern? Konnte sie nach den furchtbaren Erlebnissen anders als mit Entsetzen an ihre Familienbande denken? Sollte sie aus ihnen, den gräßlich zerrissenen Banden der nächsten Natur, Kraft zur Liebe gewinnen können? – Nein, sie liebte Polyneikes, weil er unglücklich war und nur die höchste Kraft der Liebe ihn von seinem Fluche befreien konnte. Was nun war diese Liebe, die nicht Geschlechtsliebe, nicht Eltern- und Kindesliebe, nicht Geschwisterliebe war? – Sie war die höchste Blüte von allen. Aus den Trümmern der Geschlechts-, Eltern- und Geschwisterliebe, die die Gesellschaft verleugnet und der Staat verneint hatte, wuchs, von den unvertilgbaren Keimen aller jener Liebe genährt, die reichste Blume reiner Menschenliebe hervor.
    Antigones Liebe war eine vollbewußte . Sie wußte, was sie tat – sie wußte aber auch, daß sie es tun mußte, daß sie keine Wahl hatte und nach der Notwendigkeit der Liebe handeln mußte; sie wußte, daß sie dieser unbewußten zwingenden Notwendigkeit der Selbstvernichtung aus Sympathie zu gehorchen hatte; und in diesem Bewußtsein des Unbewußten war sie der vollendete Mensch, die Liebe in ihrer höchsten Fülle und Allmacht. – Antigone sagte den gottseligen Bürgern von Theben: Ihr habt mir Vater und Mutter verdammt, weil sie unbewußt sich liebten; ihr habt den bewußten Sohnesmörder Laios aber nicht verdammt und den Bruderfeind Eteokles beschützt: nun verdammt mich , die ich aus reiner Menschenliebe handle – so ist das Maß eurer Frevel voll! – – Und siehe! – der Liebesfluch Antigones vernichtete den Staat ! – Keine Hand rührte sich für sie, als sie zum Tode geführt ward. Die Staatsbürger weinten und beteten zu den Göttern, daß sie die Pein des Mitleidens für die Unglückliche von ihnen nehmen möchten; sie geleiteten sie, und trösteten sie damit, daß es nun doch einmal nicht anders sein könnte: die staatliche Ruhe und Ordnung forderten nun leider das Opfer der Menschlichkeit! – Aber da, wo alle Liebe geboren wird, ward auch der Rächer der Liebe geboren. Ein Jüngling entbrannte in Liebe für Antigone; er entdeckte sich seinem Vater und forderte von seiner Vaterliebe Gnade für die Verdammte: hart ward er zurückgewiesen. Da erstürmte der Jüngling das Grab der Geliebten, das sie lebend empfangen hatte: er fand sie tot, und mit dem Schwerte durchbohrte er selbst sein liebendes Herz. Dies war aber der Sohn des Kreon , des personifizierten Staates: vor dem Anblicke der Leiche des Sohnes, der aus Liebe seinem Vater hatte fluchen müssen, ward der Herrscher wieder Vater. Das Liebesschwert des Sohnes drang furchtbar schneidend in sein Herz: tief im Innersten verwundet stürzte der Staat zusammen, um im Tode Mensch zu werden. –
    Heilige Antigone! Dich rufe ich nun an! Laß Deine Fahne wehen, daß wir unter ihr vernichten und erlösen!  – –
     
    Wunderbar! Als der moderne Roman zur Politik, die Politik aber zum blutigen Schlachtfelde geworden und der Dichter dagegen, im sehnenden Verlangen nach dem Anblicke der vollendeten Kunstform, einen

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