Operation Amazonas
Wald hinein. »Bewegung!«
Kelly blickte sich ein letztes Mal um. Der Schwarm blieb hinter ihnen zurück, eine wogende schwarze Wolke. In ihrer Mitte aber befand sich der Mann, der sich geopfert hatte, um sie alle zu retten. Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihre Beine waren taub vor Erschöpfung und Verzweiflung, ihr Herz war schwer.
Obwohl sie soeben den Corporal verloren hatten, sah Kelly das Gesicht ihrer Tochter vor sich. Ihre Tochter brauchte sie. Sie stellte sich ihre Tochter im Krankenbett vor, geschüttelt vom Fieber. Ich werde zu dir zurückkehren, Schatz, gelobte sie lautlos.
Tief in ihrem Innern bezweifelte sie jedoch, dass sie das Versprechen auch würde einlösen können. Je tiefer sie in den Dschungel eindrangen, desto mehr Menschen starben. Graves, DeMartini, Conger, Jones … und jetzt Jorgensen …
Sie schüttelte den Kopf, wollte sich die Hoffnung nicht nehmen lassen. Solange sie lebte und einen Fuß vor den anderen setzte, würde sie nach Hause zurückfinden.
Im Laufe der nächsten Stunde kämpften sie sich mühsam durch den Wald und folgten dem Weg, den die andere Hälfte des Teams am Nachmittag eingeschlagen hatte. Eine Fackel nach der anderen erlosch. Taschenlampen wurden ausgeteilt. Bislang deutete nichts darauf hin, dass der Schwarm die Verfolgung aufgenommen hatte. Vielleicht war es ihnen tatsächlich gelungen, sich vor den blinden Heuschrecken in Sicherheit zu bringen, doch diese Hoffnung wagte niemand laut auszusprechen.
Manny marschierte neben dem Ranger. »Und wenn wir das andere Team verfehlen?«, fragte er leise. »Jorgensen hat die Funkausrüstung bei sich gehabt. Das war unsere einzige Möglichkeit, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen.«
Daran hatte Kelly nicht gedacht. Ohne Funkgerät waren sie abgeschnitten.
»Wir werden die anderen nicht verfehlen«, erklärte Carrera mit unerschütterlicher Gewissheit.
Niemand erhob Einwände. Niemand wollte ihre Überzeugung in Frage stellen.
Sie marschierten weiter durch den dunklen Dschungel, konzentrierten sich allein auf ihre Schritte. Während die Stunden verstrichen, machte die Anspannung abgrundtiefer Müdigkeit und Angst Platz. Ringsum ertönten Rufe und seltsame Schreie. Alle lauschten auf das Schwirren von Heuschrecken.
Daher schreckten sie alle zusammen, als das kleine Handfunkgerät in Private Carreras Feldjacke auf einmal zu rauschen und zu quäken begann. »Hier spricht … wenn Sie mich hören können … Reichweite …«
Alle wandten sich mit hoffnungsvoll geweiteten Augen der Rangerin zu. Carrera schwenkte das Helmmikrofon vor den Mund. »Hier spricht Private Carrera. Hören Sie mich? Over. «
Eine lange Pause, dann … »Ich kann Sie verstehen, Carrera. Hier spricht Warczak. Wie sieht’s bei euch aus?«
Die Rangerin schilderte leidenschaftslos und professionell, wie es ihnen ergangen war. Kelly bemerkte jedoch, dass die Hand, mit der sie das Mikrofon hielt, zitterte. »Wir folgen eurer Fährte«, schloss sie. »Hoffen, in zwei Stunden bei euch zu sein.«
Corporal Warczak antwortete: »Verstanden. Dr. Rand und ich kommen euch entgegen. Ende.«
Die Rangerin schloss die Augen und seufzte vernehmlich. »Alles wird gut«, flüsterte sie, an niemand Bestimmten gewandt.
Während sich die anderen halb laut unterhielten, blickte Kelly in den finsteren Dschungel.
Dein Wort in Gottes Ohr, dachte sie.
Vierter Akt
BLUTJAGUARE
Schachtelhalm
FAMILIE: Equisetaceae
GATTUNG: Equisetum
ART: arvense
GEBRÄUCHLICHER NAME: Ackerschachtelhalm
VOLKSNAMEN: At Quyroughi, Atkuyrugu, Chieh Hsu Ts’Ao, Cola de Caballo, Equiseto Menor, Kilkah Asb, Prele, Sugina, Thanab al Khail, Vara de Oro, Wen Ching
EIGENSCHAFTEN/VERWENDUNG: Adstringens, blutstillend, Diuretikum, entzündungshemmend
12
DIE SEEÜBERQUERUNG
15. August, 8.11 Uhr Instar Institute
Langley, Virginia
Lauren zog die Magnetstreifenkarte durchs Türschloss und trat ein. Seit gestern war sie nicht mehr in ihrem Büro gewesen. Zwischen den Krankenbesuchen bei Jessie und den Besprechungen mit verschiedenen MEDEA-Beschäftigten hatte sie keine Minute für sich gehabt. Jetzt hatte sie sich nur deshalb Zeit nehmen können, weil es Jessie anscheinend gut ging. Ihre Temperatur war noch immer normal und ihre Stimmung hellte sich von Stunde zu Stunde weiter auf.
Vorsichtig optimistisch hoffte Lauren, dass sie sich mit ihrer Diagnose geirrt hatte. Vielleicht war Jessie ja doch nicht am Dschungelfieber erkrankt. Jetzt war Lauren froh darüber, ihre Befürchtungen für sich behalten
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