Operation Amazonas
Ich werde mich ein bisschen mit Dakii unterhalten, solange er da unten allein ist.«
»Ich komme mit«, erbot sich Nate.
Kelly trat zu ihnen. »Und ich sehe noch mal nach Frank, bevor es dunkel wird.«
Sie gingen nach draußen. Die Sonne stand dicht über dem Horizont. Die Dämmerung hatte sich wie eine dunkle Wolke über die Lichtung gewälzt.
Schweigend kletterten sie die Strickleiter hinunter, jeder in seinen eigenen Gedankenkokon eingesponnen.
Nate erreichte den Boden als Erster und half Kouwe und Kelly von der Leiter herunter. Tor-tor kam herbei und stupste Nate auffordernd an. Er streichelte den Jaguar geistesabwesend an der empfindlichen Stelle hinter dem Ohr.
In einigen Metern Abstand stand der Indianer namens Dakii.
Kouwe ging zu ihm hinüber.
Kelly blickte zur Yagga hoch, deren Krone noch immer in Sonnenschein gebadet war. In ihren zusammengekniffenen Augen lag ein argwöhnisches Funkeln.
»Wenn Sie einen Moment warten, komme ich mit«, sagte Nate.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich komme schon zurecht. Ich habe ein Funkgerät der Ranger dabei. Sie sollten sich ausruhen.«
»Aber –«
Sie wirkte abgespannt und traurig. »Ich werd nicht lange fortbleiben. Ich möchte bloß ein paar Minuten mit meinem Bruder allein sein.«
Er nickte. Obwohl er fest davon überzeugt war, dass die Banali sie nicht behelligen würden, fiel es ihm schwer, Kelly mit ihrem Kummer allein zu lassen. Erst ihre Tochter, dann ihr Bruder … Der Schmerz stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Sie drückte ihm die Hand. »Jedenfalls danke für das Angebot«, flüsterte sie, dann entfernte sie sich über die Lichtung.
Kouwe hatte bereits seine Pfeife angezündet und unterhielt sich mit Dakii. Nate tätschelte Tor-tor die Flanke und ging zu den beiden hinüber.
Kouwe blickte ihm entgegen. »Hast du ein Foto deines Vaters?«
»In der Brieftasche.«
»Würdest du es Dakii mal zeigen? Nachdem er vier Jahre lang mit deinem Vater zusammengelebt hat, müsste er mit Fotos eigentlich vertraut sein.«
Nate holte achselzuckend die lederne Brieftasche hervor. Er klappte das Foto auf, das seinen Vater umringt von Kindern in einem Yanomami-Dorf zeigte.
Kouwe zeigte es Dakii.
Der Indianer wackelte mit dem Kopf und machte große Augen. »Kerl«, sagte er und tippte auf das Foto.
»Carl … richtig«, meinte Kouwe. »Was ist mit ihm passiert?« Der Professor wiederholte die Frage auf Yanomami.
Dakii verstand ihn nicht. Erst nach einigem Hin und Her begriff er die Frage. Daraufhin nickte Dakii heftig mit dem Kopf, und es folgte ein komplizierter Wortwechsel. Kouwe und Dakii unterhielten sich so rasch in einer Mischung verschiedener Dialekte und Laute, dass Nate ihnen nicht folgen konnte.
Schließlich wandte Kouwe sich wieder an Nate. »Die anderen wurden getötet. Gerald ist den Fährtensuchern entkommen. Offenbar war ihm dabei seine Ausbildung bei den Spezialeinsatzkräften von Nutzen.«
»Und mein Vater?«
Dakii hatte das Wort offenbar verstanden. Er beugte sich über das Foto, dann blickte er zu Nate auf. »Sohn?«, fragte er. »Du Sohn von Mann?«
Nate nickte.
Dakii tätschelte Nate den Arm und lächelte breit. »Gut. Sohn von Wishwa. «
Nate blickte Kouwe fragend an.
» Wishwa bedeutet Schamane. Offenbar haben sie deinen Vater mit all seinen modernen Gerätschaften als Schamanen betrachtet.«
»Was ist mit ihm geschehen?«
Kouwe unterhielt sich erneut in einem Mischmasch von Pidgin-Englisch und Yanomami. Nate begann den sprachlicher Knoten allmählich aufzudröseln.
»Kerl …?« Dakii nickte heftig und lächelte stolz. »Mein Bruder teashari-rin bringen Kerl zurück zu Yagga. Ist gut.«
»Er hat ihn zurückgebracht?«, fragte Nate.
Kouwe zog dem Mann den Rest der Geschichte aus der Nase. Dakii sprach so schnell, dass Nate ihn nicht verstand. Schließlich aber wandte Kouwe sich Nate zu. Seine Miene hatte sich verdüstert.
»Was hat er gesagt?«
»Wenn ich ihn richtig verstanden habe, wurde dein Vater tatsächlich hierher zurückgebracht – ob tot oder lebendig, ist mir nicht klar geworden. Aufgrund seines Vergehens und seines Wishwa-Status wurde ihm dann eine seltene Ehre zuteil.«
»Worin bestand sie?«
»Er wurde der Yagga dargebracht und nährte die Wurzeln.«
»Die Wurzeln?«
»Ich glaube, das bedeutet, dass er als Dünger diente.«
Nate taumelte einen Schritt zurück. Obwohl er gewusst hatte, dass sein Vater tot war, hatte er Mühe, die Wahrheit zu verkraften. Sein Vater hatte versucht, dem verderblichen Wirken des prähistorischen Baums ein Ende zu
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