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Operation Amazonas

Titel: Operation Amazonas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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überprüfte den Sitz der Braunüle, die jetzt mit einem Heparinstopfen verschlossen war. Obwohl er keine intravenöse Flüssigkeitszufuhr mehr benötigte, wollte sie die Braunüle für alle Fälle drinlassen.
Der Schamane musterte sie finster.
Zum Teufel mit dir, dachte sie wütend. Ich gehe erst dann, wenn ich so weit bin. Sie hob die Decke von den Stümpfen und untersuchte ein letztes Mal die Wunden. Die Saftversiegelung war noch immer unversehrt. Durch den durchscheinenden Überzug konnte sie erkennen, dass sich über der Wunde wie unter einer schützenden Schorfschicht bereits Granulationsgewebe gebildet hatte. Die Geschwindigkeit des Gewebewachstums war einfach erstaunlich.
Als sie Frank wieder zudeckte, sah sie, dass ihm die Augen bereits zugefallen waren. Leise Schnarchlaute kamen aus seinem offenen Mund. Sie bückte sich ganz behutsam und küsste ihn auf die andere Wange. Abermals musste sie sich ein Schluchzen verkneifen, konnte die Tränen aber nicht mehr zurückhalten. Sie richtete sich auf, wischte sich die Augen trocken und blickte sich ein letztes Mal im Raum um.
Der Schamane hatte die funkelnde Nässe auf ihren Wangen offenbar bemerkt. Seine Ungeduld machte Mitgefühl Platz. Er nickte ihr zu, als wiederholte er wortlos sein Versprechen, über ihren Bruder aufmerksam zu wachen.
Kelly blieb keine andere Wahl; tief durchatmend wandte sie sich zum Ausgang. Der Abstieg wollte gar kein Ende nehmen. Im dunklen Wendelgang war sie mit ihren Gedanken allein. Ihre Sorgen vergrößerten und vervielfachten sich. Ihre Ängste sprangen zwischen ihrer Tochter, ihrem Bruder und der Welt im Allgemeinen hin und her.
Endlich stolperte sie aus dem Baumstamm hervor auf die Lichtung. Es wehte ein lauer Abendwind. Der Mond stand am Himmel, doch die ersten Wolkenfetzen machten sich daran, die Sterne zu verdecken. Im Laufe der Nacht würde es regnen.
Im auffrischenden Wind eilte sie über die weitläufige Lichtung zu ihrer Behausung. Am Fuße des Baums hielt jemand mit einer Taschenlampe Wache – Private Carrera. Die Rangerin leuchtete sie an, dann winkte sie. Neben ihr hatte sich Tor-tor zusammengerollt. Der Jaguar blickte ihr entgegen, sog witternd die Luft ein, dann senkte er wieder den Kopf.
»Wie geht es Frank?«, fragte Carrera.
Kelly war nicht nach Reden zumute, musste auf die Frage der Soldatin aber etwas erwidern. »Es scheint ihm gut zu gehen. Sehr gut sogar.«
»Das freut mich.« Carrera deutete mit dem Daumen zur Strickleiter. »Sie sollten versuchen, möglichst viel Schlaf zu bekommen. Vor uns liegt ein langer Tag.«
Kelly nickte, bezweifelte aber, dass sie würde einschlafen können. Sie machte sich an den Aufstieg.
»Im zweiten Stock haben wir ein Einzelzimmer für Sie reserviert. Es liegt gleich rechts.«
Kelly hatte sie nur undeutlich verstanden. »Gute Nacht«, murmelte sie und kletterte weiter in die Höhe, ganz mit ihren Sorgen beschäftigt.
Oben angekommen stellte sie fest, dass sich niemand mehr auf der Plattform und im Gemeinschaftsraum aufhielt. Offenbar hatten sich die anderen bereits zurückgezogen, da sie alle in den letzten Tagen zu wenig geschlafen hatten.
Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte zu den oberen Stockwerken auf, dann näherte sie sich einer weiteren Strickleiter.
Zweiter Stock, hatte Private Carrera gesagt.
Na großartig … Das hab ich jetzt davon, dass ich zu spät gekommen bin.
Der zweite Stock lag ein gutes Stück höher als die beiden anderen Etagen. Auf der nächsten Astebene erbaut, handelte es sich eigentlich um eine eigenständige Hütte – ein Gästehaus mit zwei Zimmern.
Mit schmerzenden Beinen kletterte sie die lange Strickleiter hoch. Der Wind nahm zu, je höher sie kam. Er rauschte im Geäst und brachte die Leiter zum Schwanken. Die Böen rochen nach Regen. Der Mond wurde von dunklen Wolken verschluckt. Sie beeilte sich, während das Unwetter aufs Dorf zujagte.
Ein blendend heller Blitz zuckte in der Ferne über den Himmel. Der Donner grollte und dröhnte wie eine Basstrommel. Auf einmal kam es ihr gar nicht mehr so verlockend vor, in einem Riesenbaum zu leben. Zumal im obersten Stockwerk.
Die ersten Regentropfen fielen durchs Laubwerk. Sie zog sich eilig auf die kleine Plattform hoch, richtete sich auf. Der Wind und der Regen nahmen rasch zu. Die Unwetter im Amazonasbecken waren meist nur von kurzer Dauer, bisweilen aber heftig. Dieses hier stellte keine Ausnahme dar. In geduckter Haltung musterte sie die beiden Türen.
Welcher Raum war noch gleich der ihre?

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