Operation Amazonas
parallel neben dem Wurzelsystem her.
Dakii zeigte voraus und ging weiter.
Nate zögerte. An den Wänden wuchsen fremdartige, schwach leuchtende Flechten. Der Moschusduft war überwältigend, vermischt mit dumpfigem Erdgeruch. Dakii ging weiter.
Nate blickte Kouwe an, der daraufhin die Achseln zuckte. Dieses bisschen Ermutigung reichte ihm schon aus.
Nach einigen Schritten teilte sich der Wurzelast an der Decke und es zweigten weitere Gänge ab. Ganz leicht vibrierende Haarwurzeln hingen auf sie herab. Sie schwankten leicht, wie in einer Luftströmung, dabei regte sich kein Lüftchen.
Als der Gang niedriger wurde, streifte Nate mit dem Kopf an der Decke. Die Haarwurzeln wanden sich in sein Haar, hielten es fest und zerrten daran. Nate machte sich mit einem leisen Aufschrei los.
»Was hast du?«, fragte Kouwe.
»Die Wurzeln haben nach mir gegriffen.«
Kouwe berührte die Wurzeln mit der Hand. Die feinen Fäden wickelten sich um seine Finger und versuchten sie festzuhalten. Angewidert riss er die Hand zurück.
Nate kannte zahlreiche Pflanzen des Amazonasgebiets, die auf äußere Reize reagierten: Blätter rollten sich bei Berührung ein, Samenkapseln explodierten, wenn man daran streifte, Blüten schlossen sich. Diese Reaktion aber kam ihm irgendwie bedrohlich vor.
Nate schwenkte die Taschenlampe durch den Gang. Dakii wartete in einigen Metern Abstand. Nate drängte die anderen, zu ihm aufzuschließen. Als er Dakii erreicht hatte, musterte Nate die immer zudringlicher werdenden Wurzeln, die sich in alle Richtungen immer weiter verzweigten und unterteilten. Einige abzweigende Gänge endeten in Sackgassen voller Wurzelgewirr und wogenden Haaren. Die kleinen Kammern erinnerten Nate an die Stickstoffknollen, die in den Wurzelballen zahlreicher Pflanzen als Düngespeicher dienten.
Dakii stand vor einem solchen Alkoven. Nate leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Etwas hatte sich im Wurzelgewirr und den wogenden Haaren verfangen. Nate beugte sich vor. Einige Haare streckten sich nach ihm aus, bebend wie winzige Antennen.
Er wich zurück.
Tief im Wurzelgewirr steckte eine Fruchtfledermaus fest, eingesponnen wie eine Fliege in einem Spinnennetz. Nate richtete sich angewidert auf.
Kouwe beugte sich vor und schnitt eine Grimasse. »Saugt der Baum die Fledermaus aus?«
Hinter ihnen meldete sich Anna zu Wort. »Das glaube ich nicht. Schauen Sie sich das mal an.«
Beide Männer drehten sich um. Anna kniete vor einer größeren Kammer, die jedoch ebenfalls vom Wurzelgewirr eingenommen wurde. Sie zeigte hinein.
Nate schwenkte die Taschenlampe herum. In der Kammer befand sich eine große braune Raubkatze.
»Ein Puma«, sagte Kouwe an Nates Schulter.
»Passen Sie auf«, meinte Anna.
Sie hatten keine Ahnung, was sie erwartete. Auf einmal bewegte sich das große Tier und tat einen Atemzug. Die Lungenflügel dehnten sich aus und sanken mit einem Seufzen wieder zusammen. Die Bewegung wirkte jedoch unnatürlich, irgendwie mechanisch.
Anna wandte den Kopf. »Der Puma lebt.«
»Das begreife ich nicht«, sagte Nate.
Anna streckte die Hand aus. »Könnte ich mal die Taschenlampe haben?«
Nate reichte sie ihr. Die Anthropologin betrat nacheinander mehrere angrenzende Gänge und blickte eilig in einige Kammern hinein. Die Bandbreite der hier versammelten Tiere war erstaunlich: Ozelot, Tukan, Marmoset, Tamarin und Ameisenbär waren vertreten, auch ein paar Schlangen und Eidechsen und seltsamerweise eine Dschungelforelle. Und alle Tiere atmeten oder zeigten andere Lebenszeichen. Sogar der Fisch bewegte die Kiemen.
»Von jeder Art ist ein Exemplar vertreten«, sagte Anna mit Blick in das Labyrinth der Gänge. »Und alle leben. Als würden sie künstlich am Leben erhalten.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Anna drehte sich um. »Wir befinden uns hier in einem biologischen Lagerhaus. In einer Bibliothek für genetischen Code. Ich vermute, dies ist das Zentrum der Prionenproduktion.«
Nate drehte sich langsam im Kreis. Die Schlussfolgerungen waren einfach überwältigend. Der Baum lagerte die Tiere hier unten und lernte von ihnen, Prionen zu produzieren, welche die Spezies veränderten und sie an ihn banden. Das Ganze war ein lebendes, atmendes Genlabor.
Kouwe packte Nate bei der Schulter. »Dein Vater.«
Nate blickte ihn verwirrt an. »Was ist mit meinem –?« Dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag auf die Stirn. Er rang nach Luft. Sein Vater war an die Wurzel verfüttert worden. Aber nicht als Dünger, machte Nate sich bestürzt klar,
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