Operation Amazonas
bedeckt, die sich überschnitten, teilten, miteinander verwoben. Die allgegenwärtigen Wurzelhaare streckten sich vibrierend nach ihnen aus. Die Wände ähnelten dem Pelz eines Lebewesens und waren in ständiger wogender Bewegung begriffen.
Auch die anderen wirkten besorgt, sogar die Indianer. Die Kolonne der Männer und Frauen verschwand hinter einer Biegung. Private Carrera bildete die Nachhut. Sie blickte sich immer wieder wachsam um – Tor-tor und der schwarze Riesenjaguar folgten ihr. Es hatte einiger Überredungskunst bedurft, die beiden Raubkatzen zum Betreten des Tunnelsystems zu bewegen, doch schließlich war es Nate gelungen, Tor-tor hineinzulocken. »Mannys Jaguar überlasse ich nicht dem sicheren Tod«, hatte Nate gemeint. »Ich bin es meinem Freund schuldig, ihn zu retten.«
Schließlich war auch das große Jaguarweibchen Tor-tor gefolgt.
Für den Fall, dass die große Raubkatze unterwegs Lust auf eine Stärkung bekommen sollte, hielt Carrera die Waffe im Anschlag.
Dakii blieb an einer Kreuzung stehen. Sergeant Kostos grummelte, doch sie wagten nicht, das Tempo anzuziehen. Hier unten konnte man sich allzu leicht verirren. Sie waren auf Dakiis Orientierungsvermögen angewiesen.
Der Indianer entschied sich für einen Gang und schritt voran. Der Tunnel senkte sich steil in die Tiefe. Kouwe blickte zur niedrigen Decke. Mittlerweile waren sie bestimmt hundert Meter unter der Erde … und es ging immer noch tiefer hinab. Eigenartigerweise aber war die Luft hier weniger dumpfig, sondern beinahe frisch.
Nach einer Weile wurde der Tunnel wieder eben, beschrieb eine scharfe Biegung und mündete in eine große Höhle. Die Tunnelöffnung befand sich auf halber Höhe der Höhlenwand. Ein schmaler Pfad führte an der Wand entlang, ein Felssaum hoch über dem schüsselartig gewölbten Boden. Dakii trat auf den Pfad hinaus.
Kouwe folgte ihm staunend. Die Höhle durchmaß etwa eine halbe Meile. In der Mitte ragte eine gewaltige Wurzel, so dick wie ein großer Rotholzbaum, aus dem Dach und verschwand wie eine gewaltige Säule im Boden.
»Das ist wieder die Pfahlwurzel der Yagga«, meinte Nate, als er sich den beiden Männern anschloss. »Anscheinend haben wir einen Bogen geschlagen.«
Von der Hauptwurzel ausgehend breiteten sich Tausende von Nebenwurzeln wie die Äste eines Baums in alle Richtungen, weiteren Tunnelgängen entgegen.
»Das Tunnelsystem muss viele Meilen umfassen«, sagte Kouwe. Er musterte die Pfahlwurzel. Der oberirdische Stamm machte offenbar nur einen Bruchteil der gesamten Baummasse aus. »Könnt ihr euch vorstellen, wie viele Spezies hier gefangen sind? Es ist, als stünde die Zeit hier still.«
»Der Baum sammelt anscheinend schon seit Jahrhunderten alle möglichen Tierarten«, murmelte Nates Vater.
»Vielleicht auch schon länger«, meinte Kouwe. »Vielleicht schon seit der Zeit, als das Land entstanden ist.«
»Also seit dem Paläozän«, flüsterte Nate ehrfurchtsvoll. »Wenn das stimmt, was ist dann in diesem gigantischen biologischen Archiv alles verborgen?«
»Und welche Arten sind gar noch am Leben?«
Kouwe zuckte zusammen. Das war eine erstaunliche, aber auch erschreckende Vorstellung. Er bedeutete Dakii weiterzugehen. Der Anblick war zu schrecklich, um ihn länger zu ertragen, außerdem wurde für sie und die Menschen der Außenwelt die Zeit allmählich knapp.
Der Pfad führte in Serpentinen in die Tiefe. Dakii geleitete sie zu einer weiteren Tunnelmündung, die wiederum ins Labyrinth der Gänge führte. Auch nachdem sie die Höhle hinter sich gelassen hatten, verweilte Kouwe in Gedanken noch bei dem Mysterium. Unwillkürlich wurde er langsamer, bis er neben Nate und Carl herging. Auch Sergeant Kostos hatte sich ihnen angeschlossen.
»Als ich Anthropologie studierte«, sagte Kouwe, »habe ich mich intensiv mit Baummythen beschäftigt. Die mütterliche Beschützerin. Wächterin und Hort der Weisheit. Dabei stellt sich mir die Frage, ob sich die Wege der Menschheit und dieses Baums schon einmal gekreuzt haben.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Nate.
»Dieser Baum war doch wohl nicht der einzige seiner Art. Es muss in der Vergangenheit noch andere gegeben haben. Vielleicht sind diese Mythen ja eine kollektive Erinnerung von Menschen, die früher einmal der Yagga begegnet sind.«
Als er Nates Skepsis bemerkte, fuhr er fort: »Nimm zum Beispiel mal den Baum der Erkenntnis aus dem Garten Eden. Ein Baum, dessen Früchte das gesamte vorhandene Wissen verkörpern, die aber den, der davon
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