Operation Amazonas
Nate kannte diese Augen. Sie unterschieden sich nicht von seinen eigenen.
»Nate?«, sagte der Mann mit rauer, ausgedörrter Stimme.
Nate warf sich auf ihn. »Dad!«
Zu erschüttert, um zu sprechen, half er seinem Vater, der federleicht war, nichts als Haut und Knochen, eine sitzende Haltung einzunehmen. Der Baum hatte ihn zwar ernährt, aber nur notdürftig.
Kouwe beugte sich vor. »Carl, wie geht es dir?«
Nates Vater musterte blinzelnd den Professor, dann spiegelte sich Erkennen in seinen Zügen wider. »Kouwe? Mein Gott, was geht hier vor?«
»Das ist eine lange Geschichte, alter Freund.« Er half Nate, dessen Vater aufzurichten. Der geschwächte Carl Rand musste sich bei Nate und Kouwe aufstützen. »Im Moment versuchen wir gerade, von diesem beschissenen Ort zu flüchten.«
Nate betrachtete seinen Vater mit tränenüberströmtem Gesicht. »Dad …«
»Ich weiß, mein Sohn«, sagte er heiser und hustete erneut.
Sie hatten keine Zeit, ihr Wiedersehen auszukosten, dennoch wollte Nate den Moment nicht verstreichen lassen, ohne die Worte auszusprechen, die er beim Aufbruch seines Vaters in den Dschungel zurückgehalten hatte. »Ich liebe dich, Dad.«
Der Griff um seine Schulter wurde fester, ein liebevoller, vertrauter Druck. So vertraut.
»Wir sollten jetzt die anderen holen«, sagte Anna. »Und machen, dass wir verschwinden.«
»Nate, wie wär’s, wenn du hier bei deinem Vater bleiben würdest?«, schlug Kouwe vor. »Erhol dich. Wir sammeln euch dann beide auf.«
Dakii schüttelte den Kopf. »Nein. Wir nicht kommen diesen Weg zurück.« Er schwenkte den Arm. »Anderen Weg nehmen.«
Nate runzelte die Stirn. »Ich finde, wir sollten zusammenbleiben. «
»Ich schaff das schon«, meinte Carl mit rauer Stimme. Er blickte sich zu den Kammern um. »Außerdem habe ich hier schon viel zu viel Zeit verbracht.«
Kouwe nickte.
Als das geregelt war, stiegen sie wieder nach oben. Kouwe schilderte kurz die Lage. Nates Vater hörte schweigend zu und stützte sich immer schwerer auf sie. Die einzige Bemerkung, die er unterwegs machte, galt Louis Favre. »Dieses gottverdammte Schwein.«
Nate lächelte, denn in dieser Bemerkung zeigte sich Carls altes Temperament.
Als sie wieder im Freien angelangt waren, stellten sie fest, dass die Ranger in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen waren. Sie hatten die Ban-ali versammelt. Alle waren bewaffnet und mit Nüssen beladen.
Nate und sein Vater blieben im Eingang stehen, während Kouwe kurz schilderte, weshalb ihre Gruppe Zuwachs bekommen hatte. »Dakii meint, es gibt einen unterirdischen Fluchtweg.«
»Dann sollten wir uns beeilen«, sagte Sergeant Kostos. »Uns bleiben nicht mal mehr dreißig Minuten, und wenn die Bomben hochgehen, sollten wir möglichst weit weg sein.«
Carrera trat zu ihnen; das Gewehr hatte sie geschultert. »Bei uns ist alles bereit zum Aufbruch. Wir haben mehrere Dutzend Nüsse und vier Kanister mit Baumsaft.«
»Dann wollen wir mal unseren Arsch in Bewegung setzen«, meinte Kostos.
19.32 Uhr
Während sie durch die Wurzelgänge schritten, hielt sich Kouwe an Dakiis Seite und blickte sich hin und wieder nach den im Gänsemarsch aufgereihten Indianern und Amerikanern um. Als er sah, dass Sergeant Kostos Nate half, dessen Vater zu stützen, bedauerte er, dass die Zeit nicht mehr ausgereicht hatte, eine Trage anzufertigen, doch im Moment zählte jede Minute.
Sergeant Kostos glaubte zwar, dass sie hier unter der Erde vor dem Feuersturm der Napalmbomben sicher wären, fürchtete jedoch, das Labyrinth könnte einstürzen. »Das Erdreich ist von Wurzeln durchzogen und aufgelockert. Bei der Explosion könnte uns die Decke auf den Kopf fallen, oder die Eingänge werden verschüttet. Wir müssen die Tunnel hinter uns gelassen haben, wenn die Bomben hochgehen.«
Deshalb beeilten sie sich. Nicht nur aus Angst um ihr eigenes Überleben, sondern um das der ganzen Welt. Der Inhalt ihrer Rucksäcke entschied über das Schicksal von Tausenden Menschen, wenn nicht gar Millionen – die Nüsse der Yagga, die die Wirkung des virulenten Prions neutralisierten. Das Heilmittel für die ansteckende Krankheit.
Sie mussten verhindern, dass sie in der Falle saßen. Kouwe blickte sich wiederholt über die Schulter um. Die dunklen Tunnel, die schwach leuchtenden Flechten, die
unheimlichen Kammern mit den darin gefangenen Tieren …, dies alles machte ihn nervös. Mittlerweile waren sie weit ins Tunnelsystem eingedrungen, und Wände und Decke waren mit einem Gewirr von Wurzeln
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