Operation Amazonas
ihn mit einer brennenden Zigarette malträtiert.
»Was ist passiert?«, fragte Captain Waxman.
Nate hielt alle auf Abstand zu Kostos. »Nicht berühren.«
Kostos zitterte. Tränen quollen ihm aus den Augenwinkeln. Offenbar litt er Qualen. Nates Rat erwies sich jedoch als richtig. Die Ameisen hörten auf zu beißen, krabbelten von Kostos’ Armen und Beinen herunter und verschwanden im Gebüsch.
»Wo wollen die hin?«, fragte Kelly.
»Zu ihrem Bau«, antwortete Kouwe. »Das sind bloß Soldaten.« Er zeigte an ein paar Bäumen vorbei. Einige Meter weiter öffnete sich eine Dschungellichtung, die so kahl und nackt aussah, als hätte sich hier jemand mit Rechen und Heckenschere zu schaffen gemacht. In der Mitte stand ein mächtiger Baum, ein Urwaldriese, dessen Äste die Freifläche vollständig überdeckten.
»Das ist ein Ameisenbaum«, erklärte der Professor. »Darin lebt die Ameisenkolonie.«
»Im Baum?«
Kouwe nickte. »Das ist eines der vielen Beispiele für eine Symbiose zwischen Pflanzen und Tieren beziehungsweise Insekten. Der Baum hat im Laufe der Evolution hohle Äste und Kanäle entwickelt, die den Ameisen als Behausung dienen und sie sogar mit einem speziellen Zuckersaft ernähren. Die Ameisen wiederum nützen auch dem Baum. Sie düngen ihn nicht nur mit ihren Ausscheidungen, sondern beschützen ihn auch vor anderen Insekten, Vögeln und sonstigem Getier.« Kouwe wies mit dem Kinn zur Lichtung. »Die Ameisen zerstören alles, was in der Nähe des Baums wächst, und entfernen Schling- und Kletterpflanzen von den Ästen. Deshalb bezeichnet man diese Stellen auch als supaya chacra, als Teufelsgarten.«
»Eine eigenartige Beziehung.«
»So ist es. Freilich kommt sie beiden Spezies zugute – dem Baum und den Insekten. Sie sind sogar aufeinander angewiesen.«
Kelly blickte zur Lichtung und staunte darüber, wie eng verwoben die verschiedenen Spezies waren. Erst vor einigen Tagen hatte Nate ihr eine Orchidee gezeigt, deren Blüten geformt waren wie das Geschlechtsorgan einer bestimmten Wespenart. »Um das Insekt anzulocken und zur Bestäubung zu veranlassen.« Andere Pflanzen wiederum sonderten Zuckersaft ab, um Bestäuber auf sich aufmerksam zu machen. Die Früchte eines bestimmten Baums mussten von einem ganz bestimmten Vogel oder Säugetier gefressen werden und dessen Verdauungstrakt passieren, um keimen und Wurzeln schlagen zu können. Im Regenwald war das Leben durch ein kompliziertes evolutionäres Netz miteinander verwoben.
Als Nate neben dem Sergeant niederkniete, wurde sie von ihrem Gedankengang abgelenkt. Die Ameisen hatten sich mittlerweile vom Körper des Soldaten zurückgezogen. »Wie oft habe ich Ihnen eingeschärft, Sie sollen die Augen aufmachen, bevor Sie sich irgendwo anlehnen?«
»Ich hab die Ameisen nicht gesehn«, sagte Kostos gequält und mit zornigem Blick. »Außerdem musste ich mal pinkeln.«
Kelly bemerkte, dass der Hosenstall des Mannes offen war.
Nate schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet gegen einen Ameisenbaum?«
Während Kouwe in seinem Rucksack wühlte, erklärte er: »Ameisen reagieren empfindlich auf chemische Reize. Die im Baum beheimatete Kolonie hat den Urin als Angriff interpretiert.«
Kelly packte eine Spritze mit einem Antiallergikum aus, während Kouwe eine Hand voll Blätter aus seinem Rucksack nahm und sie zwischen den Fingern zerrieb. »Ku-run-yeh?«, fragte sie.
Der Indianer lächelte sie an. »Ausgezeichnet.« Mit dieser Heilpflanze hatte er die Blasen an ihren Fingern behandelt, als sie die Feuerliane berührt hatte. Ein wirksames Schmerzmittel.
Die beiden Ärzte behandelten ihren Patienten. Während Kelly eine Kombination aus einem Antihistaminikum und einem entzündungshemmenden Steroid injizierte, schmierte Kouwe etwas von dem Ku-run-yeh Extrakt auf den Arm und zeigte Kostos, wie er ihn aufbringen sollte.
Die unmittelbar einsetzende Wirkung spiegelte sich im Gesicht des Sergeants wider. Seufzend nahm er eine Hand voll Blätter entgegen. »Den Rest erledige ich selbst«, sagte er; vor Verlegenheit klang seine Stimme gepresst.
Corporal Warczak half seinem Kameraden auf die Beine.
»Wir sollten die Stelle umgehen«, sagte Nate. »In der Nähe eines Ameisenbaums können wir nicht lagern. Unser Proviant könnte Kundschafter auf uns aufmerksam machen.«
Captain Waxman nickte. »Dann sollten wir jetzt weitermarschieren. Wir haben hier schon genug Zeit vertrödelt.« Der Blick, mit dem er den humpelnden Sergeant bedachte, war nicht sonderlich mitfühlend.
Im Verlauf der
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